2000-09-16

2000-09-16

Die Untertagefahrt

 

Was machen wohl die meisten Menschen, die vorhaben, einen Ausflug zu unternehmen, gleich früh als erstes? Wenn mich nicht alles täuscht, prüfen sie mit einem Blick aus dem Fenster, wie wohl das Wetter wird.

So stelle ich am Morgen des 16. September 2000 fest, als ich mir gegen 06.30 Uhr den völlig verhangenen Himmel betrachte, daß es wohl das beste wäre, ich bliebe zu Hause in der warmen Stube sitzen und überließe das Reisen denen, die gerade etwas schöneres Wetter zu genießen hätten. Doch schon im gleichen Moment ist selbiger Gedanke wieder verworfen und die Lust, neue Welten zu entdecken, gewinnt mit einem verwegenen Handstreich die Oberhand. Und das mit gutem Grund, denn so einfach wie heute wird einem das Erreichen des Unbekannten nicht jeden Tag gemacht. So packe ich also meine sieben Sachen zusammen und stehe pünktlich dreiviertelsieben auf dem Dreieck, wo in 5 Minuten der Bus des Reiseunternehmens Hugo Vater erwartet wird. Mit mir harrt da eine ganz ansehnliche Schar von Leuten, die alle das Angebot des Heimatvereins nutzen wollen, sich für wenig Geld einen gemütlichen Tag auf Reisen zu machen.

Unsere Wartezeit indes will sich nicht so recht gemütlich gestalten. Die geringfügige Verspätung des Busses wäre uns bei schönem Wetter vermutlich überhaupt nicht aufgefallen – doch nach dem Gesetz der größten Sauerei öffnet just in dem Augenblick, in dem der Bus auf die Wendeschleife fahren sollte, der regengeschwängerte Himmel sämtliche Schleusen und uns bleibt nichts anderes übrig, als uns vor den Fluten in das fast ein bißchen zu klein ausgefallene Wartehäuschen zu retten. Glücklicherweise währt dieser Zustand nicht allzu lang, denn schon nach kurzer Frist kommt schließlich unser Fahrzeug zum Dorf hereingefahren. Urplötzlich steigt die Stimmung wieder an, als wir den bequemen, gemütlich warmen und trockenen Bus besteigen. Von diesem Augenblick an können uns die Unbilden äußerer Umstände nichts mehr anhaben und wir blicken frohen Mutes einem erlebnisreichen Tag entgegen.

Einem ungeschriebenen Gesetz folgend, begrüßen Reiseleiter und Vereinsvorsitzender in Person von Kurt Hammer und Dr. Uli Knopf die vollständig vertretene Reisegruppe, die auch heute wieder aus Ortschaften der ganzen Saalfelder Höhe zusammengekommen ist. Harald Arnhold, der nun heute schon zum zweiten Mal für den Heimatverein am Steuer sitzt, hält sich allerdings auch diesmal mit der Wahl seiner Worte etwas zurück. Kein Mensch ist ihm deshalb böse und Kurt nutzt schon bald die Gelegenheit, kraft seines Amtes uns die Gegend zu erklären und über nahezu jeden Stein, der am Weg liegt, etwas Wissenswertes zum Besten zu geben. Er scheint die Strecke, auf der wir unterwegs sind, zu kennen wie seine Westentasche und selbst da, wo heute absolut nichts mehr los ist, kennt Kurt eben eine interessante Story aus der Vergangenheit.

Über Lichte und Neuhaus haben wir inzwischen schon Eisfeld passiert und halten nun auf Hildburghausen zu. Da erregt Kurt, gemeinsam mit seiner Gattin Irma die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer mit einer Geschichte, die den beiden seinerzeit höchstpersönlich widerfahren ist.

„Damals, es war irgendwann in grauer Vorzeit, besaßen Kurt und seine Irma zur individuellen Fortbewegung ein Motorrad. An einem ziemlich unfreundlichen Abend in der kalten Jahreszeit fuhren sie gerade da entlang, wo wir heute mit unserem Bus unterwegs sind. An der entscheidenden Stelle überquert die Straße eine Eisenbahnlinie und macht unmittelbar darauf eine recht zackige Rechtskurve. Kurt hatte den ganzen Tag gearbeitet wie ein Mann, es war schon ziemlich spät und zur Dunkelheit und Kälte gesellte sich Nebel. Damit hatten die beiden alles zusammen, was sich einer glücklichen Ankunft an ihrem Ziel – sie wollten zum Schlachtfest in Kurts Heimatdorf – entgegenzustellen brauchte. Schon Dutzende Male hatten sie diesen Bahnübergang passiert; sie kannten ihn wie ihre Westentasche. Aber so erbärmlich schlecht wie an diesem Abend war die Sicht noch nie gewesen. Als Kurt sich schließlich – seinem Gefühl nach mußte es soweit sein –  in die gewohnte Rechtskurve legte, kamen sie nicht mehr weit. Sein Gefühl hatte ihn getäuscht. Sie hatten die Gleise noch nicht überquert.“

War das Wetter bis jetzt auch nicht besonders schön gewesen, als wir nach Hildburghausen kommen, erleben wir ein Unwetter, wie es nicht alle Tage vorkommt. Da kann man sich richtig in Kurts Situation von damals hineinversetzen. Es ist Gott sei Dank kaum Nebel, aber dafür schüttet es wie aus Kübeln. Dazu ist es so stockdunkel geworden, daß überall in der Stadt die Straßenbeleuchtungen angehen. Innerhalb von Sekunden stehen die Straßen vollkommen unter Wasser. Harald, unser Busfahrer indes hält das Ruder sicher in der Hand. Unser Weg durch die Straßen Hildburghausens gleicht eher einer Bootsfahrt im Donaudelta, zumindest für einige Minuten ist keinerlei Land in Sicht.

Als wir Hildburghausen wieder verlassen, ändert sich auch relativ schnell das Wetter. Der Regen läßt schlagartig nach und sogar der Himmel hellt sich ein wenig auf. Wie uns bald bewußt wird, befinden wir uns mittlerweile in einer Gegend, mit der Kurt in seiner Kindheit und Jugend sehr verbunden war. Nur wenige Kilometer hinter HBN kommen wir durch das kleine Dörfchen Leimrieth. In Fahrtrichtung links des Weges zeigt Kurt uns ein kleines Gebäude, welches er als die Schule bezeichnet, in der er seine allerersten Unterrichtsstunden abhalten musste. Damals war er noch Student gewesen. Kaum zehn Minuten später zeigt ein Wegweiser, daß linker Hand, 5 km von der Hauptstraße entfernt, die Gemeinde Roth zu finden wäre. In diesem Ort wurde Kurt geboren.

Als wir dies gerade erfahren haben, beginnt Kurt schon mit der Beschreibung der zwei Gleichberge. Bei guter Sicht müssen sie ein Naturschauspiel sondergleichen sein. Uns bleibt ihre wahre Pracht leider hinter einer zähen Nebelschwade verborgen. Als wir etwas näher kommen, wird der Blick dann etwas klarer, so daß wir trotz allem zumindest andeutungsweise die verblüffende optische Ähnlichkeit dieser beiden Berge erahnen können.

Unsere Straße führt mitten zwischen beiden Gipfeln hindurch. Als wir sie passiert haben, befindet sich unmittelbar an der Straße das Steinsburgmuseum am Waldhaus. Den dazugehörigen Parkplatz nutzen wir für unsere erste Rast. Den Bus zu verlassen, kostet allerdings etwas Überwindung, denn inzwischen regnet es schon wieder Bindfäden. Nur wer unbedingt mal muß, wagt einen Sprung aus dem Bus, um die im etwa 30 m entfernten Waldhaus befindlichen Toiletten zu nutzen. Außerdem nutzen Einige das Angebot Haralds an Kaffee, Capuchino oder auch an kalten Getränken. Obwohl wir sehr gut in der Zeit liegen, meint Kurt, daß ein Besuch des Steinsburgmuseums zu lange aufhalten würde, um ihn jetzt zusätzlich in unsere Reisepläne aufzunehmen.

Mit dem Beschluß, die überschüssige Zeit mit einem Abstecher in den von vielen hoch geschätzten Töpferhof Gramann oder die sehr interessante Stiftskirche in Römhild sinnvoll zu nutzen, fahren wir schließlich vom Parkplatz Waldhaus ab. Unsere neu gefaßten Pläne scheitern, weil sowohl Töpferei wie auch Kirche um diese frühe Morgenstunde – es ist so gegen 09. 00 Uhr – noch geschlossen sind.

Rechter Hand erscheinen nochmals die beiden Gleichberge auf der Bildfläche, als wir aus Römhild hinausfahren. Die kleine Ortschaft Haina, die wir dann durchfahren, stellt wieder einen Meilenstein in Kurts persönlicher beruflicher Entwicklung dar. Hier trat er am 01. September 1946 seine erste Stelle als junger Lehrer an.

Interessant ist auch die Geschichte des Zuchthauses in Untermaßfeld. Die im 12. Jahrhundert von den Henneberger Grafen als festes Wasserschloss erbaute Anlage diente den Herrschaften dieser Zeit über viele Jahre hin sozusagen als Ferienhaus und Musensitz, Hierher kamen die feinen Leute, um ihren Wohlstand in vollen Zügen zu genießen und die Lasten ihres schweren Alltags als Regierung über Land und Leute von Zeit zu Zeit immer mal wieder vergessen zu können. Wer heute hierher kommt, gehört in der Regel nicht zu den feinsten Leuten, hat meist die schwerste Last eines unwürdigen Lebens schon hinter sich gebracht und in vielen Fällen auch nicht mehr allzu viel zu genießen.

Eine Fahrt durch Meiningen versetzt einen regelrecht um Jahrhunderte zurück. Der historische Stadtkern ist so ausgezeichnet erhalten, daß man meinen könnte, die prachtvollen Mauern wären gerade erst aufgerichtet. Das Einzige, was den Eindruck längst vergangener Zeiten stört, ist, daß anstatt von Pferdefuhrwerken Autos durch die Straßen fahren.

Hinter Meiningen wurde die Werraniederung in der Vergangenheit nicht selten von recht ergiebigen Hochwassern heimgesucht. Erst die noch zu DDR – Zeiten erbaute Talsperre Ratscher entschärfte das Gebiet. Als angenehmer Nebeneffekt ergab sich daraus das heute größte Naherholungsgebiet Südthüringens.

Von den Ortschaften, die wir im weiteren Verlauf unserer Reise passieren, ist zumindest Wasungen für viele Menschen ein Begriff. Seinen schon im 16. Jahrhundert erworbenen Ruf als Karnevalshochburg konnte es sich sogar unter den nicht besonders karnevalsfreundlichen Bedingungen einer SED – Regierung erhalten.

Schließlich, und wieder mit reichlichen Zeitreserven, erreichen wir Breitungen, wo Kurt ein kräftiges Mittagsmahl in Auftrag gegeben hat. Das Jagdhaus „Seeblick“ steht etwas außerhalb des Ortes auf leicht ansteigendem Terrain. Wie der Name schon verrät, hat man von hier oben einen wunderschönen Blick auf den Breitunger See, der als Vogelschutzgebiet seine spezielle Bedeutung in dieser Landschaft gewonnen hat.

Die Bezeichnung „Erdfallsee“ – der Breitunger See ist ein solcher – deutet darauf hin, daß irgendwann in grauer Vorzeit hier das Gelände einfach in sich zusammengefallen ist und in der dadurch entstandenen Niederung sich durch Wasseransammlung der See bildete.

Wir erreichen das Jagdhaus bei glockenklarem und gemütlich warmem Herbstwetter. Die Regenwolken und zähen Nebelschwaden des Vormittags haben sich vollkommen zurückgezogen. Was wundert es, daß also manch einer die noch reichlich vorhandene Zeit bis zum Essen nutzt, die Lungen nochmal richtig mit der würzig frischen, aber keineswegs kalten Luft vollzusaugen. Manch anderer steckt sich dazu allerdings auch eine brennende Zigarette in den Mund.

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An dem Essen das uns im Seeblick serviert wird, gibt es im Großen und Ganzen nicht viel auszusetzen. Zum Schluß hin reagieren einige unserer Reisegäste aber etwas unwillig, weil das Personal beim Abkassieren plötzlich etwas trödelig wirkt. Aus diesem Grund bleibt nämlich den Betroffenen die Möglichkeit verwehrt, zur besseren Verdauung vor der Weiterfahrt noch eine kleine Runde ums Haus zu wandern. In der Tat wird durch die auffallend träge Arbeitsweise in der Wirtschaft, besonders während der Endphase, unser mitgebrachtes Zeitpolster aufgebraucht und zur Abfahrt ist schließlich sogar fast ein wenig Eile angesagt.

Für 13.15 Uhr ist unsere Ankunft in Merkers geplant. Durch den leicht verspäteten Aufbruch und eine recht zeitaufwendige Verkehrsführung in Breitungen merken wir schon bald, daß dieser Termin unter Umständen nicht so ohne weiteres zu halten sein wird. Nachdem auch die Ortsdurchfahrt allein durch Bad Salzungen wieder eine reichliche Viertelstunde in Anspruch nimmt, greift Kurt schließlich zum Handy, um die Rezeption im Erlebnisbergwerk auf eine minimale Verspätung unsererseits vorzubereiten. Die letzten 5 oder 6 km laufen dann aber wie am Schnürchen und man kann letzten Endes eigentlich gar nicht von einer Verspätung sprechen.

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Der erste Blick in die Empfangshalle des Erlebnisbergwerkes öffnet uns die Augen. Es herrscht ein fast undurchdringliches Menschengedränge. Unter diesen Umständen wäre es wohl kaum aufgefallen, wenn wir noch eine Viertelstunde später angekommen wären. Wie sich herausstellt, trifft diese Vermutung den Nagel genau auf den Kopf. Bis Uli die Eintrittskarten in Form von sogenannten Fahrmarken gekauft hat, verstreicht eine ganze Weile. Sodann bekommen wir Befehl, zu warten, bis wir an der Reihe sind. Auch darüber gehen nochmals einige Minuten ins Land. Schließlich und endlich taucht aber doch ein recht netter Herr auf, der uns und eine weitere Reisegruppe bittet, ihn zu begleiten. Wir folgen ihm also ins Freie und er führt uns auf den Platz, auf dem, schon von weitem sichtbar, der Förderturm steht. Er stellt uns zwei seiner Kollegen vor, die mit uns unter Tage fahren werden und gibt auf beschwingt fröhliche Art, aber doch durchaus ernst gemeint, einige Verhaltensregeln mit auf den Weg. Alsdann lädt er uns mit einem freundlichen „Glück Auf“ ein, die Förderkörbe zu besteigen. Mit etwa 8m/sek. geht es nun abwärts. Nach nicht ganz 2 min. haben wir den Boden des Stollens erreicht. Hier werden wir mit nicht allzu vielen Worten auf die drei für uns bereitstehenden Grubenfahrzeuge aufgeteilt und alsdann ….. nimmt das Abenteuer seinen Lauf. Die Fahrer unserer, nicht gerade komfortabel gefederten, Gruben – LKW nehmen keine besondere Rücksicht auf ihre johlenden und jauchzenden Fahrgäste, als sie mit affenartiger Geschwindigkeit durch das unterirdische Labyrinth brettern. Um es kurz zu beschreiben, eine Fahrt auf der Achterbahn erweckt wohl ähnliche Gefühle. Zumindest kommt einem die Geschwindigkeit in den engen Röhren der Grube und auf den harten Pritschen der Fahrzeuge recht verwegen vor. So kommen wir schließlich über kurz oder lang am Unter – Tage – Museum, unserer ersten Station, an. Ein Hohlraum von, sagen wir, mindestens der Fläche eines Fußballfeldes, in dem anhand von Ausstellungsstücken über die Geschichte des Kalibergbaus recht eindrucksvoll Auskunft gegeben wird.

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Die monumentale Maschine, der die Bergleute ihrerzeit den Kosenamen „ALF“ gaben, paßt hier allerdings nicht hinein. Es handelt sich dabei um den größten Schaufelradbagger, der je in Europa gebaut wurde. Mit einer Förderleistung von 1700t/Std. mußte er vormals seinen horrenden Anschaffungspreis von, wenn mich nicht alles täuscht, etwa 4 Mio. Mark abarbeiten. Heute verschaffen ihm die Eintrittsgelder der Neugierigen, die dieses, von Menschenhand geschaffene, gigantisch erscheinende technische Monstrum bestaunen wollen, seine weitere Existenzberechtigung. Aber ohnehin wäre es ein absolut nutzloser Aufwand, das Gerät wieder in so kleine Stücke zu zerlegen, um es aus dem Schacht hinausschaffen zu können. Die Halle, in dem es steht, gleicht einem riesigen Kirchengewölbe und bietet überdies genug Platz, um vor der Kulisse des metallenen Kolosses gut besuchte Konzerte abzuhalten.

Ein ganz spezieller Raum im Gewirr des unterirdischen Labyrinthes sollte aber, es war Anfang des Jahres 1945, vor der Menschheit verborgen bleiben. Hier ließen die Nazis, als sie merkten, daß ihr wahnwitziger Feldzug gegen die ganze Welt nicht mehr zu gewinnen war, ihren gesamten Reichsschatz einlagern, um ihn vor den nahenden Feinden zu verstecken. Aber schon wenige Tage nach der Kapitulation hatten die Amerikaner die Goldreserven und unvorstellbar wertvollen Kunstgüter ausfindig gemacht ….. und versteckten sie besser.

Ein Kunstwerk, wie es nur die Natur zu schaffen vermag, steht als letztes auf unserem Plan. Die Kristallgrotte, ein unterirdischer Hohlraum in dem sich Salzkristalle von einer Kantenlänge von bis zu einem Meter gebildet haben, wurde in den 80 – er Jahren rein zufällig entdeckt. Heute stellt sie natürlich einen Besuchermagneten von nicht zu unterschätzender Anziehungskraft dar. Und nur wer sie gesehen hat, kann nachfühlen, welch unglaublich, wunderbar grazile Schöpfungen unsere alte Mutter Erde auch ohne die Hilfe des Menschen zu gestalten in der Lage ist.

So interessant und abenteuerlich es im Land des ewigen Dunkels auch sein mag, am Ende ist wohl jeder froh, wieder das Blau des Himmels über sich zu erblicken. Die Exkursion ins Höhlenreich hat, was Kurt vorher natürlich nicht wissen konnte, auch um einiges länger gedauert, als in seinem Zeitplan vermerkt. Die für den Anschluß vorgesehene Pause wird deshalb etwas gedrängt und so sind wir relativ pünktlich wieder auf Strecke. Wir fahren auf der B 84 Richtung Autobahnanschluß Eisenach.

Ohne Frage weiß Kurt auch über das Gebiet, das wir dabei durchfahren das eine oder andere Wissenswerte zu berichten. Die Konzentration unter den Fahrgästen scheint aber durch das gerade absolvierte Programm doch etwas gelitten zu haben. So haben wir über kurz oder lang die Autobahn erreicht, die wir nun in Richtung Erfurt befahren.

Nun ist ja auch Eisenach samt der Wartburg ein Ort, über den man wohl ganze Bücher vollschreiben könnte. Dementsprechend reichhaltig sind also auch Kurts Erläuterungen, als wir auf Blickkontakt auf die beiden herangekommen sind. An dieser Stelle sei das Thema nicht ganz so ausführlich behandelt, aber da wir uns gerade im Bach – Gedenkjahr befinden, sei wenigstens erwähnt, daß Johann Sebastian am 21. 03. 1685 in Eisenach geboren wurde.

Die Drei Gleichen (Mühlburg, Wachsenburg und Burg Gleichen) müssten ja eigentlich jedem, der diesen Autobahnabschnitt schon einmal befahren hat, zumindest vom Sehen her bekannt sein. Dass es über jede der drei auch sehr viel Interessantes zu berichten gibt, beweist Kurt ziemlich ausgiebig. Stellvertretend soll hier wieder eine ganz besonders geheimnisvolle Geschichte nacherzählt werden.

„Ein Graf von Gleichen geriet während eines Kreuzzuges in Gefangenschaft. Dabei lernte er eine Türkin kennen und verliebte sich unsterblich in sie. Da er zu Hause aber schon Frau und zahlreiche Kinder hatte, wendete er sich nach seiner Entlassung gen Rom und rang dem Papst die Erlaubnis ab, die Türkin als zweite Frau ehelichen zu dürfen. Bei seiner Heimkehr wurde er trotz allem freudig empfangen und lebte fortan glücklich und zufrieden, obwohl seine zweite Ehe kinderlos blieb. Der Beweis aber, daß diese Geschichte die reine Wahrheit ist, soll im Erfurter Dom liegen, wo ein Grabstein mit 3 Schädeln gefunden wurde.“

Während Kurt uns die Story um den bigamistischen Grafen von Gleichen mit allerhöchster erzählerischer Raffinesse zum Besten gibt, nähern wir uns unaufhaltsam dem Ort, wo es Abendbrot geben soll. Kurt hat, wie es nunmal seine vorsorgende Art ist, schon kurz nach der Abfahrt in Merkers telefonisch eine detaillierte Bestellung abgesetzt. Die große Festtafel ist schon gedeckt, als wir, pünktlich wie die Besenbinder, im „Goldenen Löwen“ zu Dienstedt eintreffen. Die zu einem großen „U“ gestellten Tische sind ordentlich und geschmackvoll hergerichtet, so dass uns ein feiner Hauch von Geruhsamkeit entgegenweht. In der Tat läßt das ganze Arrangement Erholung und Entspannung nach den Strapazen stundenlanger Busfahrt erahnen. Der Saal – man möchte ihn fast als Halle bezeichnen – ist ausgesprochen großzügig gestaltet und eingerichtet. Schon beim Betreten des fast luxuriös erscheinenden Raumes überkommt einen das Gefühl, daß man sich hier einfach wohlfühlen muss. Nachdem der Lärm des Stühlerückens verhallt ist und wir es uns recht gemütlich gemacht haben, wird die beschauliche Atmosphäre noch durch leise im Hintergrund einsetzende Musik unterstützt. Sie ist von der Lautstärke her genau so geregelt, daß die hier und da in Gang kommenden, mehr oder weniger intensiven, Gespräche durch sie nicht beeinträchtigt werden. Zu guter letzt sind wir also keineswegs überrascht, daß Speisen und Getränke, aber auch der Umgang des Personals mit seinen Gästen, hält, was der äußere Eindruck schon versprochen hat. Am Ende haben sich einige so gut eingelebt, daß sogar der Abschied ein bisschen schwer zu fallen droht. Es wird schließlich auch um Einiges später, als ursprünglich geplant, aber letztendlich ist der Aufbruch in Richtung Heimat doch nicht zu umgehen.

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Alles in allem haben wir nun bestimmt noch eine gute Stunde Fahrt vor uns. Doch satt und zufrieden sehen wir diesem letzten Abschnitt unserer Reise zuversichtlich entgegen und ich denke, daß die meisten von uns in diesem Moment den vergangenen Tag als erfolgreich abge-schlossen ansehen.

Heimatverein Wickersdorf e.V.                                                                               Eddy Bleyer