Mit Bus und Bahn

Mit Bus und Bahn

Es ist nicht gerade typisch für den Wickersdorfer Heimatverein, sich auf dem Saalfelder Bahnhof zu treffen, um sich auf einen Ausflug zu begeben. Dass es aber durchaus passieren kann, zeigt sich sehr wohl am 21. Mai 2016.

Ich kann mich dunkel daran erinnern, einmal mit dem Zug nach Bamberg gefahren zu sein. Diese Reise hatte damals Karlheinz Ziegler, der Chef der Lebensgemeinschaft, organisiert. Verblüfft muss ich allerdings feststellen, dass es darüber (zumindest meinerseits) keinerlei Aufzeichnungen gibt. Und es ist auch schon sehr, sehr lange her.

In der Regel lassen sich die bewegungsscheuen Wickersdorfer ja lieber direkt vor der Haustür, also auf dem Dreieck, bequem vom Bus abholen und dann gemütlich und geradewegs zum Ziel ihrer Reise chauffieren.

Nicht so aber an diesem wunderschönen, herrlich frühlingshaften Samstagmorgen. Da versammelt sich eine ganze Reihe reiselustiger Vereinsmitglieder, darunter auch mehrere Kinder und einige Nichtwickersdorfer, um sich auf den beschwerlichen Weg mit der Bahn nach Halle zu machen.

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In Saalfeld geht es los. Einmal Umsteigen in Naumburg lässt sich leider nicht umgehen. In diesem Punkt belehrt, besteigen wir unseren Zug, der zu unserem Glück auf dem Bahnsteig schon bereit steht. Platz ist, wie sich herausstellt, reichlich und so kommt es kaum zu irgendwelchen Drängeleien um die besten Plätze. Der Sitzkomfort kann hinlänglich mit dem eines Busses verglichen werden, so dass sich für den Moment erst einmal Ruhe und recht gute Laune einstellt. Der Vereinsvorsitzende, Haiko Jakob, sitzt während dieser ersten Etappe neben mir. Wankelmütige Teilnahmebereitschaft, die sich in mehrfachen immer wieder An- und Abmeldungen einzelner Interessenten widerspiegelte, hatte ihm im Vorfeld die Lust an den Vorbereitungen ein wenig versauert. In manchem Fall mögen dafür aber freilich auch triftige Gründe vorgelegen haben. Dazu bemängelt er die teilweise nicht ganz reibungslose Kommunikation mit einzelnen Bahnbediensteten im Verfahren um die Kartenvorbestellung. „Endlich geschafft!“, höre ich so aus seiner Schilderung heraus und spüre dabei seine Bereitschaft, die jetzt vor uns liegende Reise nun aber gerade in vollen Zügen zu genießen. Und damit beißt er erst einmal genüsslich in sein von zu Hause mitgebrachtes Frühstücksbrot.

Im Gegensatz zur Kommunikation mit den Kundenberatern der Bahn verläuft unser Umstieg in Naumburg völlig reibungslos. Vorübergehend wird die Zusammensetzung der Sitzgrüppchen ein wenig durcheinander gewürfelt, was der entspannten Stimmung an Bord aber keinerlei Schaden zufügt.

Bei Einfahrt des Zuges in Halle Hauptbahnhof sehen wir sie dann schon wartend auf dem Bahnsteig stehen.

Prof. Dr. Ludwig Patzer mit Frau Steffi und Sohn Johann Friedrich nehmen uns in Empfang, wie es einer Abordnung unseres Heimatvereins in Ehren gebührt. Die drei sind übrigens ebenfalls Mitglieder des Vereins und nur ihrer Einladung haben wir es zu verdanken, dass wir überhaupt hierher gekommen sind. Ein paar unwesentliche Änderungen zum ursprünglichen Plan haben sich zwar ergeben – dies soll aber nicht Gegenstand dieses Berichtes werden.

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Für uns steht erst einmal eine kurze Stadtrundfahrt auf dem Programm. Zu diesem Zweck haben Patzers kurzerhand einen Bus gechartert … und einen professionellen Reiseleiter dazu. Als wir das Bahnhofsgebäude verlassen, empfangen uns zum Ersten blendender Sonnenschein von einem fast wolkenlosen Himmel und zum Zweiten … unser Reiseleiter. Dieser hat zu unserem Empfang gleich mehrere Tüten Hallorenkugeln mitgebracht, die er von den Kindern unter der Reisegruppe verteilen lässt. Da vom Bus weit und breit noch keine Spur zu entdecken ist, beginnt Dr. Norbert Krauss, wie sich unser Reiseleiter vorstellt, umgehend über Halle, die Halloren und die danach benannten Kugeln zu referieren. Seine Ausführungen gestaltet er sehr ausführlich, so dass die Zeit bis zur Ankunft des Busses hinreichend mit interessanten und wissenswerten Details über die Stadt an der Saale und ihre Geschichte angereichert wird.

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Während der gesamten Busfahrt schweigt Dr. Krauss keinen einzigen Augenblick. An jeder Straßenecke entdeckt er einen Stein oder Stab, über den es etwas zu berichten gibt. Geschickt erweckt der Berichterstatter den Eindruck, als würde Halle ausschließlich aus historisch bemerkenswerter Bausubstanz bestehen. Alle hundert Meter findet er etwas Neues, was in seine Erklärungen eingebunden wird.

Einen leicht sarkastischen Seitenhieb auf die Verkehrswegeplaner von Halle kann er sich auch nicht verkneifen, als der Bus auf der Hauptstraße noch einmal zurücksetzen muss, um in die ziemlich enge, spitzwinklig angesetzte und beidseitig zugeparkte Straße zur Moritzburg einzubiegen. Eine spürbare Demonstration der Unmöglichkeit liefert der Bus schließlich noch, als er trotz des Zurücksetzens am Ende mit dem linken Hinterrad dennoch über die Bordsteinkante holpert.

An der Moritzburg verlassen wir unseren Bus. Für die weit- und tiefgreifenden Erläuterungen allein zu diesem Gebäudekomplex braucht Dr. Krauss etwa ein halbes Stündchen. Und ich muss hier wieder einmal zugeben – alles konnte ich mir nicht merken.

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In dem gleich in der Nachbarschaft zur Moritzburg stehendem, so genannten Weißen Haus von Halle, befindet sich der Sitz der Leopoldina. Dabei handelt es sich um eine weltweite Vereinigung sehr kluger Männer, die sich in ihren Konferenzen mit der Lösung vielfältiger Probleme auf wissenschaftlicher Basis befassen. Von den derzeit 1500 Mitgliedern sind 105 im Besitz eines Nobelpreises. Insgesamt 172 Nobelpreisträger gehörten seit ihrer Gründung der Leopoldina an. Ludwigs Vater, Prof. Dr. Helmut Patzer, der als Wochenendwickersdorfer ja auch in unserem Heimatort ein sehr hohes Ansehen genoss, war seinerzeit auch Mitglied in diesem ehrenwerten Gremium. Mich wundert es nicht, denn so wie ich ihn kennenlernte, ließ alles, was er sagte oder tat, auf eine innig verwurzelte Weisheit von zutiefst menschlichem Charakter schließen.

Die Fortsetzung unserer Fahrt durch Halle führt uns schließlich noch an so manch sehenswertem Refugium der Stadt Halle vorbei. Dr. Krauss lässt sich dabei nicht lumpen, sein umfassendes Wissen an uns bildungsbedürftige Leute vom Lande weiterzugeben. Die Rundreise endet schließlich auf dem zweistöckigen Marktplatz von Halle.

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Von hier aus führt Dr. Krauss uns noch zum Restaurant der Halleschen Spezialitätenbrauerei, wo er sich dann von uns verabschiedet. Mit einem wohlverdienten Applaus entlassen wir ihn aus unserem Dienst und wenden uns der Gaststätte zu, in der Patzers Plätze für ein ausgiebiges Mittagsmahl reserviert haben.

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Die Qualität des Essens ist aus meiner Sicht ganz hervorragend. Insofern muss ich die Wahl unserer Gastgeber eindeutig loben. Die Prozedur des Abkassierens von über 20 Posten, für die nur eine Kellnerin zur Verfügung steht, fügt dem Ganzen allerdings einen kleinen Wermutstropfen bei. Da muss ich unserem Vorstandsvorsitzenden unmissverständlich zustimmen. Dass ich am Ende des Mahles als Protokollant, wie Ludwig es deklariert, keine Rechnung bezahlen muss, halte ich für eine nicht ganz unberechtigte Entscheidung. Wer an dieser Entscheidung alles beteiligt war, ist mir nicht bekannt. Ich selbst hatte damit jedenfalls absolut nichts zu tun – möchte den Entscheidern dennoch meinen ehrlich empfundenen Dank verkünden.

 

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Nach einem kurzen Rundgang zum Händelhaus und zum Dom unter Ludwigs Führung, an der sich nur eine Handvoll Leute beteiligen, treffen wir zum vereinbarten Termin an der Straßenbahn wieder auf den Rest der Truppe.

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Präzise wie geplant werden wir mit der Bahn Nr. 7 zum Landesmuseum für Vorgeschichte fahren.

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Das Museumspersonal reagiert durchaus clever auf unseren Auftritt. Begründet durch die doch recht stattliche Teilnehmerzahl teilt man uns in zwei Gruppen auf, von denen jede eine eigene Führung bekommt. Obwohl im Gebäude eine ganz brauchbare Akustik herrscht und man sehr gut versteht, was erzählt wird, halte ich das grundsätzlich für keinen ungeschickten Schachzug. Anja Rosenbusch, die in Halle aufgewachsen ist, erzählt mir nach dem Rundgang, dass das Museum ihrer Meinung nach in früheren Jahren interessanter eingerichtet war. Eine ganze Gruppe von Urmenschen hätte die Steinzeit sehr anschaulich dargestellt. Eine eigene Einschätzung kann ich dem natürlich nicht entgegenhalten, da ich die frühere Einrichtung ja nicht kenne.  Dem, was ich heute gesehen habe, muss ich allerdings schon eine durchaus beeindruckende Wirkung bestätigen. Mit welchen Hilfsmitteln die Menschen der verschiedenen Altersepochen ihr Leben meisterten, ist absolut erstaunlich. Und mit welchen Strategien man aus Artefakten, die tausende von Jahren unter der Erde begraben lagen, die Lebensbedingungen dieser früheren Menschen zu lesen sucht, ist fast noch erstaunlicher.

In einem nahezu stockdunklen Raum befindet sich das Highlight des Museums. In einer kleinen Vitrine, durch spärliches Licht angeleuchtet, hängt die Himmelsscheibe von Nebra. Experten schätzen ihr Alter auf etwa 4000 Jahre, von denen sie 3600 Jahre vergraben war. Damit ist sie die älteste bisher gefundene von Menschenhand gefertigte Darstellung des Nachthimmels. Wegen ihres beachtlichen Verkaufswertes von wahrscheinlich einigen Millionen Euro steht sie unter ständiger und strengster Bewachung.

Als wir nach der Führung das Museum durch den Hintereingang verlassen, ist auf der Terrasse bereits der Kaffeetisch für uns gedeckt. Die bereits servierten Erdbeertörtchen sind ein bisschen krümelig, vom Geschmack her aber gut genießbar.

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Es wird auch noch Kuchen nachgereicht, so dass wir ausreichend gestärkt am Ende wieder zur Straßenbahn marschieren. Damit treten wir nun also die Fahrt zum Bahnhof an, von wo wir uns schließlich mit dem Zug wieder nach Saalfeld davon machen wollen. Patzers sind mitgekommen und lassen es sich nicht nehmen, sich nochmal persönlich zu verabschieden.

Dem schönen Wetter und ihnen haben wir einen herrlichen und erlebnisreichen Tag zu verdanken. Nicht zu vergessen bleibt aber auch Haiko, der im Gefecht mit den kleinen Unzulänglichkeiten menschlicher Schwächen für eine termingerechte und angenehme Hin- und Rückreise sorgte.

 

Heimatverein Wickersdorf e.V.                                                       Eddy Bleyer

Mai 2016