Wie wir einen warmen Bruder in einem Minikönigreich trafen

Wie wir einen warmen Bruder in einem Minikönigreich trafen

Es passieren so Dinge auf dieser Welt, die würde man gar nicht für möglich halten, hätte man sie nicht selbst erlebt. Auch wir ahnten nicht, welche Überraschungen der Tag für uns bereithielt, als wir uns am 09. Juni 2001 auf die Reise machten, um die Welt um uns herum besser kennenzulernen.

Der Bus war gerade mal halb voll, was uns eigentlich ein bißchen ärgerlich hätte erscheinen sollen. Doch wir waren eher gut gelaunt, und das war auch richtig so, denn es sollte ein sehr schöner Tag werden. Manch einer von den Zuhausegebliebenen dagegen würde sich wohl heute noch in den Allerwertesten zu beißen versuchen, wenn er nur ahnte, welch eindrucksvolles Erlebnis er verpaßt hat. Auch wenn  ich nun mit etwas ungeschickten Worten versuchen werde, zu beschreiben, was alles uns widerfahren ist – es mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört zu haben, ja selbst dabei gewesen zu sein, ist doch eine ganz andere Sache.

Wir Wickersdorfer, für die diese Reise vordergründig organisiert worden war, konnten uns mit 3 Personen locker zu den zahlenmäßig kleinsten Abordnungen der vertretenen Höhendörfer zählen. Nur Wittmannsgereuth und Wittgendorf mit je 2 Teilnehmern konnten dieses Ergebnis noch unterbieten. So waren also Dr. Uli Knopf, der Vorstandsvorsitzende unseres Heimatvereins mit seiner Gemahlin Gerhild und ich erschienen, um die Ehre unserer Heimat zu verteidigen und die gern gesehenen Gäste aus den umliegenden Ortschaften auf dieser großen Fahrt zu begleiten.     Die Überraschungen gingen schon los, als der Bus die Dorfstraße herunterkam. Der da am Lenkrad saß, das war nicht Harald, den wir eigentlich erwartet hatten, und auch nicht Hugo, das hätten wir schließlich auch noch verstanden – nein, der da den Bus um die Wendeschleife lenkte, war kein geringerer als Jungunternehmer Erik Steiner aus Arnsgereuth. Er war für diesen Tag von Hugo Vater beauftragt, dafür zu sorgen, daß wir fachgerecht unsere Reiseziele erreichten und anschließend auch gesund wieder nach Hause kamen. Vielen von uns ist Erik bekannt, sein Ruf in unserer Gegend ist nicht der schlechteste, und so waren wir‘s also zufrieden.     Der weitere Verlauf unserer Fahrt ähnelte verblüffend denen vieler anderer Fahrten. Uli und Kurt Hammer, welcher es sich nach alter Gewohnheit und Sitte auf dem Sitz des Reiseleiters bequem gemacht hatte, sprachen über Bordfunk zu den Fahrgästen, während draußen die aufgehende Sonne ihre morgendlichen Strahlen über das weite, frühlingsgrüne Land verstreute. Ein Wetter vom feinsten und nur dazu angetan, einen Bus „halb“ voller Engel auf Reisen zu schicken.

In Saalfeld lief dann aber schon einiges nicht mehr so serienmäßig ab, wie gewöhnlich. Zum ersten Mal in der Geschichte unserer Tagesausflüge befuhren wir die neu ein-gerichtete Verbindung zwischen dem Brauhaus und Gorndorf, die die Straße am Kellners Weinberg ersetzt hat und die im Zuge der Anbindung an die Nord – Ost – Umgehung gebaut worden ist. Kurts Erläuterungen zur derzeitigen wirtschaftlichen Bedeutung des Gewerbegebietes um die Maxhütte wurden von Erik sehr fachkundig ergänzt. Er kennt sich hier aus, denn als LKW – Fahrer hatte er hier des Öfteren schon zu tun. Auffallend farbenfrohe und sportsmäßig  getrimmte  Autos kamen uns schließlich immer wieder entgegen, während wir in Richtung Pößneck fuhren. Erik klärte uns unverzüglich darüber auf, daß es sich dabei wohl um die Teilnehmer einer internationalen Rallye handelt, die die letzten beiden Tage in dieser Gegend unterwegs waren. Das Fahrerlager in Pößneck, an dem wir dann letzten Endes vorbeifuhren, hätte wohl das Herz eines manchen Autofreaks höher schlagen lassen. Farben und Formen der Karossen, die hier dicht bei dicht auf engstem Raum beieinander standen, waren ein Anblick, der sich dem Auge in der Tat nicht alle Tage bietet. Und wer wußte eigentlich

vorher schon, daß das Schloß in Oppurg ein architektonisches Unikum ist, das 365 Fenster, 52 Türen und 12 Schornsteine in sich vereinigt. Sollte sich irgendjemand durch diese Zahlen auf unbestimmte Weise an Tage, Wochen und Monate erinnert fühlen, sei diesem gesagt: „Etwas ähnliches müssen die Bauherren ihrerzeit wohl auch im Sinne gehabt haben.“

Die neue Straße, auf der man die Verkehrsbremse Neustadt seit einigen Monaten ganz problemlos umfahren kann, veranlaßte unseren Verkehrsprofi Erik allerdings zu einer kritischen Hinterfragung. Er, der ja von Berufs wegen täglich auf Deutschlands Straßen unterwegs ist, fragt sich, wie man eine Straße schon wenige Wochen nach ihrer Fertigstellung gleich an mehreren Stellen aufhobeln und wieder zuschmieren muß. Just so ist es mit der Neustadter Umgehung passiert; Erik hat es persönlich miterlebt.

Mit einem kurzen Stück Autobahn A9 von Triptis bis zur Raststätte Rodaborn schlossen wir unsere erste Reiseetappe mit einer zünftigen Brotzeit ab. Die meisten verzehrten Selbstmitgebrachtes, während Erik und Kurt warme und kalte Getränke dazu verkauften. Das Wetter hatte sich bis hierher recht ordentlich gehalten, so daß es die meisten als durchaus erholsam empfanden, sich im Freien ein wenig die Füße zu vertreten.

Der Volksmund nennt sie die „Stadt der steinernen Wunder“. Und sicher hat sich dieser Begriff für die Stadt, wo die Unstrut in die Saale mündet, nicht ganz ohne triftigen Grund so eingebürgert. Der Kern der Altstadt ist ein Paradebeispiel für prächtig erhaltene, historisch gewachsene Baukunst. Viele der Gemäuer gehen in ihrer Entstehung bis weit ins Mittelalter zurück, was bei einer Stadt, die auf eine fast 1000 – jährige Geschichte zurückschauen kann, eigentlich gar kein so großes Wunder ist. Ihren Weltruf erlangte diese Stadt aber nur durch ein ganz spezielles Bauwerk – durch das sie den ebenfalls sehr geläufigen und vor allem viel weiter verbreiteten Beinamen „Domstadt“ erhalten hat. Mit Sicherheit gibt es nur sehr wenige Menschen auf dieser Welt, die sich jemals in Naumburg aufgehalten haben und nahmen diese Gelegenheit nicht beim Schopfe, den Dom St. Peter und Paul zu besuchen. Kurios dabei erscheint allerdings schon wieder, daß die meisten der Leute, die den Dom je besuchten, gar nicht des eigentlichen Domes wegen gekommen waren – in Baustil und Ausstattung, Prunk und Pracht hat er seinen Artgenossen in anderen Städten kaum etwas voraus -, sondern sie waren gekommen, um Eckehardt und Uta, die beiden berühmten Stifterfiguren zu sehen.

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Unser Besuch des Naumburger Domes begann damit, daß weder Busfahrer noch Reiseleiter und auch niemand von denen, die schon mal per PKW in Naumburg gewesen waren, wußte, wie man mit einem großen Reisebus möglichst nahe beim Dom einen Parkplatz finden kann. So kostete es also nicht wenige gute Ratschläge und Ideen, während Erik mit gekonnten Schleifen und geschickten Wendemanövern den Bus durch die alten und neuen Straßen Naumburgs chauffierte, bis wir unser Ziel letztendlich doch erreicht hatten – mit der Einschränkung, daß der Bus aus verkehrstechnischen Gründen da nicht stehen bleiben konnte. Dank Kurts großzügiger Zeitplanung blieb uns aber fast eine Stunde, in der Erik ein ruhiges Plätzchen für seinen kleinen Liebling suchen konnte, indes wir übrigen noch eine lehrreiche Runde durch die Stadt zu schlendern gedachten. Gesagt; getan – in kleineren oder größeren Grüppchen durchforschten wir das angrenzende Stadtgebiet, trafen uns aber nach Ablauf der Frist alle wieder am Haupteingang des Domes. Auch Erik war wieder zu uns gestoßen, das Wetter war weiterhin sehr angenehm, die Zeit unserer Führung war heran und so hatten wir in diesem Augenblick also keinerlei Sorgen. Eine freundliche Dame im besten Alter bat uns höflich, hereinzukommen – wir taten es und manche von uns merkten bald, daß Reisen manchmal wirklich bildet.

Wieviele dumme und unwissende Menschen es gibt auf dero Welt, wird nämlich vielen erst in dem Moment richtig klar, wenn ihnen plötzlich einmal ganz unzweifelhaft vor Augen gehalten wird, daß sie selbst dazu gehören. So, wie mir es passiert ist! Und wie schwer es ist, neu Gelerntes auch zu behalten, soll folgende kleine Geschichte verdeutlichen.

„Auf dem Weg zum Bus, wir hatten den Dom gerade erst ein paar Minuten verlassen, fragte mich eine Person, deren Namen ich aus Gründen der Diskretion  an dieser Stelle nicht nennen möchte: „Sag mal Eddy, wie hießen die Dinger, die da im Dom standen! Hast du dir den Name gemerkt?“ Sofort begann ich, meinen biologischen Speicher nach der benötigten Information abzufragen. Doch nicht der kleinste brauchbare Impuls ließ sich noch in irgendeinem verborgenen Winkel meines strapazierten Hirnes mehr feststellen. Die neueste Erkenntnis, gerade eben erst gewonnen, war schon wieder in den tiefsten Höllengründen der Unwissenheit versunken.“

Im Naumburger Dom stehen 2 von diesen Dingern, die der Wissende als „Lettner“ be-zeichnet. Dieser Umstand macht ihn wiederum unter den vielen seiner bekanntesten Artgenossen einzigartig. Wie eine Art Raumteiler trennt ein Lettner den Chor vom Langhaus einer Kirche. Im Dom  zu Naumburg besteht die einmalige Ausnahme, daß sowohl der Ost -, als auch der Westflügel durch einen Lettner vom Chor abgeteilt sind. Während der um einiges ältere Ost – Lettner relativ schlicht gehalten ist, bietet der aufwendig gestaltete West – Lettner dem Betrachter ein außergewöhnlich filigranes Kunstwerk fürs Auge. Die in Stein gemeißelte Passionsgeschichte, die sich über die gesamte Breite des Lettners hinzieht, gehört ebenfalls zu den Raritäten, die dem Naumburger Dom zu seinem heutigen Ruhm verholfen haben. Das alles und noch viel mehr erklärte uns die sehr freundliche Dame. Die „rhetorisch einwandfreie Ausführung“ ihres Vortrages, wie ich es später immer wieder aus den Unterhaltungen – übrigens nicht nur in unserer Gruppe – heraushörte, hat den Besuch des Domes zu einem  besonders einprägsamen Erlebnis gemacht.

Ein Tagesordnungspunkt, der auf so einer Tagestour natürlich nicht fehlen darf, ist, wie sich jeder denken kann, das Mittagessen. Ohne große Umstände hatte Kurt für uns einige Plätze im Ratskeller, kaum 500 m vom Dom entfernt, für uns reservieren lassen. Weil es eben einfacher ist, hatte jeder schon im Bus Gelegenheit, die Speisekarte zu studieren und sich für ein Gericht zu entscheiden. Die Auswahl war recht groß, dementsprechend schwer fiel die Entscheidung aus. Ich ließ mich letztendlich zu einem Hirschgulasch mit Champignons hinreisen, weil ich Pilzen einfach nicht widerstehen kann. Die Meinung über das Essen fiel am Ende ganz passabel aus – meines Wissens war niemand unter uns, dem es absolut nicht geschmeckt hätte. Dennoch konnte ich die Zufriedenheit der anderen nicht so recht nachvollziehen, weil, wenn Pilze drauf steht, dann müssen auch Pilze drin sein. Sonst hätte ich ja gleich Fisch essen können. Kurt Hammer, der ebenfalls Hirschgulasch gegessen hatte, verteidigte zwar die Ehre des Ratskellers, indem er sein Essen als schmackhaft bezeichnete, mußte allerdings den Einwand gelten lassen, daß auch auf seinem Teller kein einziger Champignon zu finden gewesen war.

So ein Mittagessen, sei es nun mit oder ohne Pilze hergerichtet, reichlich war es immerhin, hat bei manchen Leuten einen unausweichlichen Nebeneffekt. Kaum sitzen sie wieder im Bus, das monotone Geräusch von Gas geben und Bremsen und wieder Gas geben und wieder Bremsen bohrt sich in ihr Gemüt, da werden ihre Lider von einer, erst kaum spürbaren, dann aber immer stärker werdenden gnadenlosen Schwere befallen. Irgendwann drückt diese dann ohne Kompromisse die Augen zu und der Betroffene ruht in mehr oder weniger tiefem Schlummer vor sich hin, ohne daß er auch nur die geringste Chance gehabt hätte, sich dem zu widersetzen. Ich muß also zugeben, daß ich zwischen ein paar nebensächlichen und stückweisen Wortwechseln mit meiner Platznachbarin Irma, der Gemahlin unseres Reiseleiters, stellenweise geistig nicht ganz anwesend war und so von der nächsten, etwa einen Stunde, nicht mehr alles mitbekam, was im und um den Bus herum passierte.

Schon vor unserer Abfahrt in Naumburg hatte Kurt festgestellt, daß wir mit unserer Zeit großzügig umgehen könnten. Vorausschauend, wie er nun mal ist, hatte er auch schon einen Plan, was auf unserem Weg noch einen kurzen Abstecher rechtfertigen würde. „Der Geburtsort von Friedrich Nietsche, Röcken – wir müssen da sowieso durchfahren -, da könnten wir kurz anhalten und uns die Gedenkstätte anschauen“, hatte Kurt gemeint und war damit auf allgemeine Zustimmung gestoßen.

Die Beschilderung war, im Hinblick auf die Größe der Ortschaft, mehr als hinreichend, so dass es überhaupt kein Problem war, Nietsches Geburtshaus zu finden. Mangel an Parkplätzen herrschte nicht, die Straße war breit genug und der Besucherstrom um diese Tageszeit hielt sich sehr in Grenzen (wir waren die einzigen). Das Haus selbst, in dem Nietsche als Sohn eines Pastorenehepaares geboren wurde und in dem wir eigentlich ein Museum vermuteten, fanden wir leider verschlossen. Was sich aber unseren Augen schon aus einiger Entfernung eröffnete, war das etwas abseits stehende, schon von weitem ein wenig seltsam anmutende Denkmal.

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Die aus weißem Stein geformte Gruppe bestand aus 3 Figuren. Zwei davon, beides nackte Männer, die nur mit einem Hut ihren Mannesstolz bedeckten, schauten von vorn und von der Seite auf die dritte. Dabei handelte es sich um ein in der Mode aus Nietsches Zeit bekleidetes Pärchen, daß man unschwer für ein Hochzeitspaar halten mochte. Das gesamte Arrangement, aber besonders, dass alle 3 Männerfiguren den gleichen Gesichtsausdruck, nämlich den Nietsches, zeigten, verlieh dem Werk doch eine recht provokante, zugleich aber auch geheimnisvolle Ausstrahlung. Den Wortlaut der Gedenkschrift, in die Platte aus ebenso weißem Stein gehauen, die etwa den Mittelpunkt der ganzen Gruppe bildet, möchte ich an dieser Stelle nicht wiedergeben. Außerdem könnte ich es gar nicht.

Das Grab Nietsches, das Einige auf dem Friedhof gleich um die Ecke vergebens gesucht hatten fanden wir schließlich auch noch; direkt an der Kirchenmauer. Für meine Begriffe machte es einen recht unscheinbaren und kaum sehr liebevoll behandelten Eindruck.

Doch unser Weg führte uns weiter, dem Land der ungeahnten Möglichkeiten entgegen. Ein Stück Land, nicht mal einen Hektar groß, das unmittelbar im Gemeindegebiet der Verwaltungsgemeinschaft Lützen liegt und das trotzdem gar nicht so richtig zu Deutschland gehört. Von Schweden gekauft, ein Königreich a la miniature, wie eine kleine Insel mitten im riesigen Ozean. Auf dem besagten Grundstück ist die Gedenkstätte, die an den Tod des Schwedenkönigs Gustav – Adolf erinnert, errichtet worden. Genau an der Stelle, wo heute der Baldachin steht, soll der Schwedenkönig am 6. Nov. 1632, durch ein Schwert von hinten tödlich getroffen, leblos vom Pferd gefallen sein.

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Doch nicht nur der Boden, auf den wir unseren Fuß gesetzt haben, nein auch der Mann, der uns in die Geheimnisse des Geschehens jener grauen Vorzeit einweihte, war ein echtes Unikum. Die ganze Art seiner Bewegungen und die Penibilität seiner Aussprache, die trotz aller Drehungen und Windungen ein ganz ansehnliches Quantum von gewöhnlichem sächsischen Dialekt nicht ganz verbergen konnte, ließen nur eine Schlußfolgerung zu – dieser Mensch ist hochgradig homosexuell. Er machte seine Sache gut, besonders immer dann, wenn die Sprache darauf kam, wie oft die Schwedische Königsfamilie hier schon ihre Audienzen abgehalten hat und wie vielen gekrönten Häuptern er bei solchen Gelegenheiten schon die Hände schütteln mußte. Der Haupttenor aller Episoden seiner Erinnerungen an all die Empfänge und Trauerstunden und was sonst sich noch abgespielt hatte, war schwer zu überhören. Der Erfolg all dessen war jeweils seiner Präsenz und hauptsächlich seinem genialen Verhandlungsgeschick zu verdanken. Doch ich sollte den Ruf unseres Gastgebers in Lützen vielleicht doch nicht zu sehr mit Füßen treten. Eigentlich war er schon ein netter Bursche – höflich, freundlich und zuvorkommend gegenüber jedermann – mit einem leicht übersteigerten Geltungsbedürfnis vielleicht! Aber wer von uns ist schon vollkommen?     Nahezu vollkommen jedenfalls ist die Kunstfertigkeit des gesamten Rüstwerkes der Kapelle. Von innen unverkennbar, was sich von außen nur erahnen läßt, ist es eine ganz  authentische Nachahmung eines kieloben treibenden Wikingerschiffes. Unser Schutzbefohlener entließ uns schließlich, einerseits belustigt durch seine kuriose Lebensart, doch andererseits auch berührt durch die tiefen Eindrücke, die die politische, aber ebenso die menschliche Einzigartigkeit des ganzen Anwesens auf uns gemacht hatten.

Ein wenig verzögerte sich unsere Abfahrt, da Karin Egenolf, die sich den angrenzenden Naturpark ansehen wollte, während wir uns über die Geheimnisse der Historie informierten, noch nicht zurück war, als wir wieder an unserem Bus ankamen. Als Kurt auf der Suche nach ihr schon mehrere Minuten ins Wegenetz der Parkanlage vorgedrungen war, tauchte sie plötzlich – wer weiß woher – am Bus auf. Was für mich dann Anlaß war, auf die Suche nach Kurt zu gehen.

Es dauerte nicht allzu lange, bis wir dann doch vollständig versammelt und zur Abfahrt bereit waren. Unsere nächste Etappe war nicht der Rede wert. Kaum, daß wir im Bus Platz genommen hatten, hielt er schon wieder, um uns zur Kaffeepause zu entlassen. Wir hatten das Gasthaus „Zum Roten Löwen“ mitten in Lützen angefahren. Eine Wirtschaft, wie eben so der normale Durchschnitt ist. Es ging schon sauber und gepflegt zu, das Personal kümmerte sich mit Umsicht um seine Gäste, aber so das richtig Herausragende, das Urgemütliche, welches manche Restaurants so ausstrahlen, wollte meiner Meinung nach nicht aufkommen. Wir blieben demzufolge also auch nicht ewig sitzen, sondern kehrten, durch die kurze Pause durchaus frisch konditioniert, zurück zum Bus.

Nun wäre das nächste fest im Tourenplan verankerte Ziel das Örtchen Bodelwitz bei Pößneck gewesen, wo Kurt unser Abendbrot bestellt hatte. Es war aber noch früh am Nachmittag und so Mancher hatte zu seinem Kaffee auch ein, zwei Stück Kuchen gegessen. Deshalb hielten die Meisten die Idee mit dem schnellen Abendessen für nicht so ganz passend. Doch Kurt ist auf solche spezielle Notfälle ja meist bestens vorbereitet. So sollte es uns auch diesmal gelingen, der Langeweile ein Schnippchen zu schlagen.

Von Berlin kommend, eine Abfahrt vor dem Hermsdorfer Kreuz liegt direkt an der A 9 der Kur- und Erholungsort Bad Klosterlausnitz. Kaum eine krankhafte Veränderung oder Behinderung im oder am menschlichen Organismus kann in Bad Klosterlausnitz nicht geheilt oder zumindest behandelt werden. In 4 verschiedenen Kur- und fachmedizinischen Einrichtungen werden die vielfältigsten Heil- und Therapiemethoden zum Einsatz gebracht. Es ist wohl kaum verwunderlich, daß es in einem Ort, in dem übers gesamte Jahr Tausende von Menschen Erholung und Linderung von ihren Leiden suchen, Park- und andere Anlagen vorhanden sind, die sich als geeignet erweisen, auch körperlich und geistig Gesunde anzulocken. Eine von diesen Anlagen ist ohne jeden Zweifel das Kur- und Freizeitbad. Durch die unmittelbare Nähe der Autobahn und den ganzjährigen Kurbetrieb hat dieses Bad unbestreitbar einen ausgesprochen günstigen Standort. Kurgäste, die Patienten der Fachkliniken und natürlich auch Besucher, die über weitere Strecken her anreisen, lassen mit Sicherheit stets und ohne nennenswerte Unterbrechungen das ganze Jahr die Kassen kräftig klingeln. Baden gehen wollten wir zwar nicht, aber die Einrichtung mal ein bißchen näher unter die Lupe zu nehmen, das war schließlich unser Plan. Das erste, was das Auge des Besuchers in seinen Bann zieht, kaum daß er das Gebäude betreten hat, ist ein ziemlich gewaltiger, etwa 75 cm hoher Hohlkristall.

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Wer schon mal die Möglichkeit hatte, in Bad Klosterlausnitz zu baden oder zu saunieren, der weiß, daß solche Exemplare im Inneren der Anlage noch mehrfach zu finden sind. Dieser Umstand verhalf dem Kur- und Freizeitbad zu der ebenso treffenden Bezeichnung Kristallbad. Einige von uns drangen bis ins Foyer ein, andere besichtigten nur die Außenanlagen oder die nähere Umgebung. Nach einer reichlichen halben Stunde versammelten wir uns aber wieder am Bus, denn wir wollten ja das Abendbrot nicht ganz ausfallen lassen.

Die Fahrt bis nach Bodelwitz verging wie im Flug und wir hatten auch keinerlei Probleme, die Gaststätte „Grüner Baum“ zu finden. Auf dem recht weiträumigen Platz direkt vor der Gastwirtschaft konnte Erik ohne viele Umstände seinen Bus stehen lassen und so saßen wir alsbald bei Tisch und harrten der Dinge, die da kommen mögen. Und wir wurden nicht enttäuscht! Prompte und flotte Bedienung, durch sehr umgängliches Personal. Das Größte allerdings, was mir persönlich unheimlich imponierte, war die Tatsache, daß mein, laut Speisekarte mit Pilzen hergerichtetes Abendbrot, auch tatsächlich eine ganze Menge Pilze enthielt. Aber nicht nur mein Essen, sondern, wie sich bei einem kurzen Gedankenaustausch im Anschluß daran herausstellte, war in der Tat sehr gut und schmackhaft. Nein jeder, den ich darauf ansprach, war des Lobes voll. Es ist daher unbedingt festzustellen, der Grüne Baum in Bodelwitz hat sich bei uns das Prädikat „sehr empfehlenswert“ verdient. Wie ich später noch aus ganz anderen Quellen erfuhr, hat sogar Goethe schon den Service dieses Gasthofes getestet und – man höre und staune, für gut befunden. Wir können also jetzt zu Protokoll geben: „Wir haben schon in der selben Kneipe wie Goethe gesessen!“ Und das kann ja nun wirklich nicht jeder von sich behaupten.

Wie ich also schon am Anfang meines Berichtes andeutete, hatte sich das Aufstehen an diesem Tag für alle, die mit uns unterwegs waren, richtig gelohnt. So gesehen, ist es eigentlich kein bißchen bedauerlich, daß der Bus nur halb voll geworden war. Zu bedauern sind eher die, die zu Hause mit ziemlicher Sicherheit überhaupt nichts Interessantes erfahren haben.

 

Heimatverein Wickersdorf e.V.                                                                                   Eddy Bleyer