Es ist schon verwunderlich. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da war der 1. Mai noch ein Feiertag mit ernstem Hintergrund. Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse, so nannte man ihn. Dem Maibaum, der allenthalben seinen grünen Gipfel in den blauen Himmel reckte, sprach man eine ausdrucksvolle Bedeutung zu. Fast möchte ich ihn als den Phallus am Leibe der Arbeiterklasse bezeichnen. Sinnbild für Tatkraft, Geschlossenheit und Kampfbereitschaft.
Ich kann mich leider des Eindrucks nicht erwehren, in unserer heutigen Zeit spielt das alles nur noch eine untergeordnete Rolle. Von den Arbeitern ist sich scheinbar jeder selbst der Nächste und ihr ärgster Gegner im Lande, Friedrich Merz, wird Bundeskanzler. Irgendwelche tragfähigen Erleichterungen im Leben der hart arbeitenden Bevölkerung können da wohl kaum erwartet werden.
Doch auch unter diesen Umständen lassen sich die Wickersdorfer die Tradition ihres Maibaumes natürlich nicht nehmen. Und so wird sein Erscheinen im Ortsbild also zünftig gefeiert. Allein der Einzug und das Aufstellen durch die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr, wie immer, am Vorabend des 1. Mai, wurde von den Einwohnern und auch einigen Gästen feierlich begleitet.
Schätzungsweise eine halbe Stunde vor Beginn trafen die ersten Teilnehmer des Spektakels auf dem Dorfplatz ein.
Dabei fällt mir schon seit einiger Zeit auf, dass sich dem Versorgungszweierteam Bernd Liebner und Gerd Rosenbusch jetzt schon ein paar Mal Gerds Sohn Andre anschließt. Mir scheint, dass auf diese Weise die Nachwuchsfrage auf recht einfache Weise bereits gelöst wird.
Der junge Mann macht nämlich tatsächlich den Eindruck, Freude an dieser Beschäftigung zu haben. Womit es sich doch dann durchaus um eine Gewinnsituation für alle Beteiligten handelt.
So wurde also im Vorfeld der Grill samt Getränkestation der FFw recht zahlreich belagert. Weil man solche Höhepunkte im Dorfleben nun mal nicht gerne mit leerem Magen begeht. Und dafür ist ja wirklich in vielfältiger Form gesorgt.
Das Interesse der Anwesenden galt aber selbstverständlich hauptsächlich dem Maibaum. Der kam dann schließlich – es könnte so gegen 18.00 Uhr gewesen sein – mit Hilfe von Peter Gräfs Nachläufer die Dorfstraße heruntergefahren. Flankiert von den Kameraden der Feuerwehr.
Und aufmerksam beobachtet von den Gästen, die sich gleichmäßig auf dem Dorfplatz verteilt hatten.
Bevor der Baum in seine Halterung eingefädelt werden kann, muss natürlich erst noch der Kranz befestigt werden.
Dies geschieht mit Hilfe eines Metallringes, der auf dem untersten Astkreuz aufliegt. Eine durchaus ausgefeilte Technik, die man sich dazu erdacht hat.
Nachdem die Aufhänger des Kranzes angebracht waren, wurde es schließlich ernst. Einen schätzungsweise 7 oder 8 Meter hohen Baum in die Senkrechte zu befördern, ist kein leichtes Unterfangen.
Zuerst muss er mittels einer langen Schraube in seiner Halterung drehbar arretiert werden.
Während danach von einer Seite mit Stricken gezogen werden muss, wird der Stamm von der anderen Seite nach oben gedrückt. Das mag am Anfang noch recht leicht gehen, wird aber umso schwerer, je steiler sich der Baum aufrichtet.
Zumal die Länge, über die man drücken kann, mit zunehmender Steilheit immer mehr abnimmt. Da braucht es schon kräftige Kerle. Die sind aber zum Glück in der Wickersdorfer Feuerwehr keine Mangelware. Da werden kurz mal die Arschbacken zusammengeklemmt und in nicht mal einer Minute steht so ein Baum wie eine Eins. Mit Keilen noch perfekt ausgerichtet, dass er auch richtig gerade steht – und das war’s dann.
Ein stürmischer Applaus war es dann schließlich, womit sich das begeisterte Publikum bei den Akteuren bedankte.
Man kann sagen, dass es an diesem Abend für einen 30. April recht angenehm warm war. Es hätte also, um noch ein wenig weiterfeiern zu können, eigentlich nicht zwingend eines Lagerfeuers bedurft. Da es ja aber nun mal so in der Tradition ist, sollte nun auch noch ein solches entfacht werden. So setzten sich, nachdem der Maibaum schließlich für gut befunden war, die Leute langsam und in kleinen Grüppchen vom Dreieck in Richtung Lagerfeuer in Bewegung.
Dort hatten die Dorfbevölkerung und die Feuerwehr schon ein ordentliches Häufchen zusammengetragen.
Da der letzte Regen auch schon ein paar Tage zurücklag, würde das sicherlich gehörig prasseln. Feuerwehrhauptmann Ringo Haun wollte schon den Befehl zum Zünden geben, als Ingrid Müller ihm ganz aufgebracht mitteilte, dass sie die Hexe zum Verbrennen noch zu Hause in der Scheune liegen hatte. So nahm Ringo seinen Befehl zurück, wurde dann aber in der Folge selbst halbwegs nervös, weil Ingrid schließlich doch eine ganze Weile brauchte, um die Hexe heranzuholen. Als sie es dann schließlich geschafft hatte, bekam die Hexe in nahezu halsbrecherischer Weise einen Ehrenplatz ganz oben auf dem Holzhaufen
und Ringo konnte endlich seine Anweisung zum Entzünden desselben geben. Das prasseldürre Zeug, auf das Ringo noch etwas brennbare Flüssigkeit gegossen hatte, fuhr mit einer Stichflamme an, die es aber in sich hatte. Später, als der Haufen richtig brannte, strahlte das Feuer eine Hitze aus, die ich so auch noch nicht erlebt habe. Einige Male mussten die Männer mit ihrem mitgebrachten Löschwasser die umherstehen Büsche und Sträucher vor dem Entflammen schützen.
Unser Versorgungsteam hatte inzwischen ihre Station vom Dreieck in die beim letzten Arbeitseinsatz frisch gestrichene Hütte am Lagerfeuerplatz verlegt und tat hier alles für das leibliche Wohl der anwesenden Gäste.
Damit bot es die Grundlage für die gute und ausgelassene Stimmung, die sich dann auch bis weit in die laue Frühlingsnacht hinzog. Genau, wie es geplant war.
Heimatverein Wickersdorf e. V. Eddy Bleyer
Mai 2025