Dresden – von Kunst bis Käse

Dresden – von Kunst bis Käse

Wenn Samstag früh schon vor 5.00 Uhr der Wecker klingelt, dann muß auf jeden Fall ein äußerst triftiger Grund vorliegen. So, z. B., wie es am 8. September 01 auf alle Fälle der Fall war. In diesem Fall war nämlich vereinbart, daß auf jeden Fall alle um 5.30 Uhr auf dem Dreieck zur Abfahrt versammelt sein sollten. Von dort wollten wir jedenfalls mit zwei Kleinbussen der Lebensgemeinschaft nach Arnsgereuth fahren, wo wir auf alle Fälle spätestens um 5.45 Uhr ankommen wollten. Gesagt – getan, auf jeden Fall waren alle da und alles geschah wie geplant. Den beiden Fahrern aus der LG, Reimond Nürnberger und Uli Meier, die extra für uns mitten in der Nacht ihren wohlverdienten Wochenendschlaf unterbrachen, nochmals von dieser Stelle aus, einen herzlichen Dank – jedenfalls !

Verantwortlich für diesen frühen Aufbruch war Kurt Hammer. Er hatte, wie immer, in akribischer Kleinarbeit alles organisiert, was zum guten Gelingen unserer zweiten Tagesfahrt dieses Jahres beitragen konnte. Bedauerlich für uns, er selbst konnte wegen Familienfeierlichkeiten an dieser Tour gar nicht teilnehmen –  trotzdem hoffen und wünschen wir, dass er sich an diesem Tag in der Talmühle wenigstens gut amüsieren konnte. Zumindest musste er schätzungsweise nicht so zeitig aufstehen wie wir.

Aber was tut man nicht alles, wenn sich einem die Möglichkeit bietet, die Welt kennenzulernen. Und wenn um 10.00 Uhr der Stadtführer in Dresden wartet, muss man schon sehen, dass man beizeiten aus den Startlöchern kommt. Unser Bus kam diesmal aus Oberhain, vermittelt über Hugo Vater, der an diesem Wochenende seine eigenen Busse sämtlichst ausgebucht hatte. Pünktlich nach Kurts Zeitplan, gegen 06.00 Uhr, hatten wir in Saalfeld unseren letzten Fahrgast zusteigen lassen. Alsdann legte Fahrer Himmelreich den Gang ein und der Spaß des Tages konnte beginnen.

Das Wetter an diesem Morgen, so muss man schon sagen, war nicht gerade das allerbeste. Dunkel war es ebenfalls noch, so dass vorerst im Bus noch relative Ruhe herrschte. Dr. Uli Knopf als Vorsitzender des Heimatvereins und unser Fahrer – wie bereits erwähnt, sein Name war Himmelreich – hatten einige Erklärungen zum Tagesablauf gegeben und alsodann blieb der Bordfunk stille. Zwar blieb der Platz des Reiseleiters nicht leer – der Busfahrer hatte seine Ehegemahlin mitgebracht, aber das Amt des Reiseleiters war dennoch nicht besetzt. So fehlten demnach auch die kaum einmal abbrechenden Kommentare über Land und Leute, wie Kurt sie sonst stets abzugeben pflegt. Wer also was zu sagen hatte, tat das seinem Platznachbarn, Vorder- oder Hintermann kund. Wen, so wie mich, noch ein Restchen Müdigkeit von der Nacht her drückte, der konnte auch gelassen die Augen und den Mund geschlossen halten, ohne etwas Wichtiges zu verpassen.

Die ersten einsetzenden Lichtstrahlen brachten an den Tag, was die Dunkelheit nicht hatte verbergen können. Das Wetter war nicht so, wie man es sich auf Reisen wünscht. Tief hängende, graue Wolken ließen der Sonne keine Chance. Permanenter Nieselregen, der von Zeit zu Zeit auch mal etwas an Heftigkeit zunahm, verdichtete sich hier und da zu milchigen Nebelschwaden. Kein Traumwetter also, aber wer da im warmen und trockenen Bus sitzt, braucht das ja nicht zu fürchten.

Doch wer kann schon immer und ewig in einem gemütlichen Bus sitzen bleiben. Die Vielzahl menschlicher Bedürfnisse, die einen während so einer Busfahrt überkommen können, ist so groß, dass man unweigerlich früher oder später die eine oder andere ihrer Auswirkungen zu spüren bekommt. Da hilft dann nur noch eins . . . nämlich eine Pause. So kündigte Uli Knopf schließlich, wir waren mittlerweile schon einige Kilometer auf der A4 in Richtung Dresden unterwegs, an, dass bei der nächst möglichen Gelegenheit eine kurze Rast durchzuführen sei.

Scan

In unmittelbarer Nähe von Chemnitz war es schließlich soweit. Von Gemütlichkeit kann keine Rede sein, aber das Wetter hatte sich zumindest soweit beruhigt, dass man sich auf eine begrenzte Zeit auch ohne Schirm ins Freie wagen konnte. Busfahrer Himmelreich stellte sein Fahrzeug auf einem gerade verfügbaren Parkplatz ab, um mit dem Verkauf mannigfaltiger warmer und kalter Getränke seinen Fahrgästen Labung zu verschaffen. Ein guter Teil nutzte die Gelegenheit natürlich auch, um sich auf den Toiletten der Raststätte erst mal zu erleichtern, bevor wir dann ohne weitere Halts unserem Reiseziel Dresden zustrebten. Dieses erreichten wir schließlich mit einem ordentlichen Zeitpolster, so dass es sich anbot, mit einem kurzen Schnupperkurs den Reizen der historischen Innenstadt schon mal ein bisschen auf den Grund zu gehen. Der Bus stand am vereinbarten Treffpunkt, wo später unsere professionelle Reiseführung zusteigen sollte. Zu dieser Zeit ließ so mancher Blick zum Himmel einen Schimmer von Hoffnung aufkeimen, dass sich die zähe Wolkenmasse doch noch um einen Teil auflösen würde. An manchen Stellen gelang es der Sonne nämlich tatsächlich, vereinzelt den einen oder anderen Strahl wärmenden Lichtes durch den sonst undurchdringlichen Schleier zu bohren. So war es uns vergönnt, diesen ersten, kurzen Rundgang bei recht annehmbarem Wetter machen zu können. Als die Letzten wieder am Bus eintrafen, war die nette Dame mit Namen Christine, pünktlich wie Stadtführer nun mal sind, ebenfalls schon am Treffpunkt angekommen. Obgleich sie, als sie sich vorstellte, auch ihren Nachnamen erwähnte, weiß ich denselben heute nicht mehr zu nennen. Doch genau genommen, spielt der im weiteren Verlauf unserer Geschichte ohnehin keine tragende Rolle. Dass das, in Anlehnung an ihren Vornamen, sogenannte „Christinenwetter“ aber immer ein zuverlässiger Reisepartner sei, an diese Behauptung ihrerseits muss an dieser Stelle einmal erinnert werden. Zumindest solange Christine mit uns im Bus saß und uns in gewandten Worten die Vorzüge und Schönheiten ihrer Stadt erklärte, hatte die Sonne stellenweise unbestreitbar die Oberhand. Auch auf den Elbwiesen inmitten Dresdens, wo wir für ¼ Stündchen unseren Bus verlassen hatten, umsäuselte uns das Christinenwetter mit einem angenehm spätsommerlichen Hauch. Von hier aus versuchte Christine uns klar zu machen, was es mit den prächtigen, hoch über der Elbe thronenden Palästen am gegenüberliegenden Ufer für eine Bewandtnis hat. Sollte es unter den Lesern dieses Berichtes noch Leute geben, die diese Bewandtnis nicht kennen, so muss diesen eine Stadtrundfahrt, so wie wir sie hatten, wärmstens empfohlen werden. Christine indessen war in ihren Beschreibungen recht ausführlich und korrekt und hielt sich auch nicht zurück, zu kritisieren, wo sie Kritik für angebracht hielt. So entstand im Verlaufe unserer Kreuzfahrt der wohl nicht ganz falsche Eindruck, auch Dresden, seine Bürger und seine Regionalpolitiker waren und sind nicht ganz ohne Fehl und Tadel.

Eine Sache von nahezu unerreichbarer Vollkommenheit hat Dresden aber doch zu bieten – den allerschönsten Molkereiladen der Welt. Christine hatte ihn eigentlich nur als den „schönsten“ bezeichnet, aber wer einmal hineingeschaut hat, weiß, dieser Superlativ reicht bei weitem nicht aus, so viel Schönheit auszudrücken. Ein unter Mißachtung jeglicher Gefahr geschossenes Foto möchte diese Behauptung unterstreichen. Und doch – Schönheit allein reicht eben nicht aus! Drei Dinge sind es mindestens, die ihn hindern, zu der allerhöchsten und wahren Vollkommenheit zu gedeihen.

Scan1

Zum Ersten: Busse dürfen davor eigentlich nicht anhalten. Die meisten machen es trotzdem.

Zum Zweiten: Fotografieren ist strengstens verboten. Manche machen es aber trotzdem.

Und zum Dritten: Der Geruch ist auch nicht unbedingt jedermanns Sache.

Als wir am Käseladen wieder starteten, hatte die Sache mit dem Christinenwetter auf alle Fälle noch ihre Richtigkeit. Unsere Rundfahrt ging ihrem Ende entgegen und wir fuhren wieder in Richtung der Historischen Innenstadt. Hier sollte eine anderthalbstündige Mittagspause jedem Gelegenheit bieten, sich nach eigenen Interessen anzuschauen, wonach ihm halt gelüstete. Nur noch ein paar Minuten und wenige Meter trennten uns von dieser Kurzweil, als es urplötzlich anfing, wie aus Eimern zu schütten. Christine musste zugeben, dass ihr offensichtlich die Wetterkontrolle irgendwie aus der Hand geglitten war und bot uns an, im Bus sitzen zu bleiben und noch ein paar Runden zu drehen. Doch was fürchtet ein Wickersdorfer Regen und Schnee? Wir lehnten dankend ab und der Bus hielt vis a vis der Hofkirche, um uns aussteigen zu lassen. Indessen gab das Wetter her, was es nur hatte, um uns so richtig einzuweichen. Aber obwohl ich Stefan Ziegenhagen, einen gehbehinderten Bewohner der Lebensgemeinschaft Wickersdorf, an meiner Seite hatte, schaffte ich es dank eines großen Regenschirmes noch halbwegs trocken den Eingang der Hofkirche zu erreichen. Da hatte ich ohnehin hingewollt, weil sich dort nämlich eine der nicht gerade zahlreichen noch gut erhaltenen Silbermannorgeln befindet. Was ich natürlich nicht zu hoffen gewagt hatte, dass ausgerechnet zu dieser Stunde jemand darauf spielen könnte. Doch das Schicksal war mir gnädig bei diesem Sauwetter. Irgendwer machte sich auf der Empore zu schaffen und ließ auch immer wieder das volltönende Instrument aus sämtlichen Registern erklingen. Der Anblick des einzigartig kunstvoll gearbeiteten Prospektes und die Bässe der mächtigen Pfeifen entschädigten mich in diesem Moment für alle Unwetter dieser Erde. In diesem Augenblick hatte die Welt um mich herum die wahrhaft absolute Vollkommenheit erreicht.

Nun, wahre Vollkommenheit währet niemals ewiglich – und so kam schließlich auch der Zeitpunkt, wo wir daran denken mussten, die Kirche wieder zu verlassen. Von anderen Mitgliedern unserer Reisegruppe war weit und breit nichts zu sehen, als wir wieder ins Freie kamen. Sie hatten sich in Grüppchen aufgeteilt von denen jede eigenen Interessen nachging. Meine Frau und ich, samt der 4 Betreuten aus der Lebensgemeinschaft, mit denen wir unterwegs waren, ließen uns dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Unangenehm war nur, dass der Regen, der zwischenzeitlich mal etwas nachgelassen hatte, immer wieder in relativ heftige Schauer ausartete. Auf der Suche nach etwas Essbarem durchstreiften wir aber tapfer die Straßen und begutachteten dabei Schaufenster und die Fassaden der historischen Gemäuer. Kneipen und Restaurants mit dem exotischen Speisenangebot vieler verschiedener fremder Kulturen sagten uns nicht so zu. Aber schließlich fanden wir, fast wie in der Heimat, einen Stand, an dem auf einem Holzkohlerost gegrillte Würste angeboten wurden. Zudem trafen wir hier auf Christel und Dieter Jakob, die schon gegessen hatten und uns empfahlen, die Würste zu probieren. Wir taten es und ich muss schon sagen – wir haben es nicht bereut.

Während die hungrigen Mägen mit, wie man allgemein urteilte, recht gut schmeckenden Bratwürsten gestopft wurden, näherte sich der Zeitpunkt, an dem wir uns alle an der Anlegestelle der Elbdampferflotte treffen wollten. So brachen wir schließlich gestärkt und ohne Hast auf, um uns genau dorthin zu begeben. Es waren am Ende kaum 100 m, so dass wir rechtzeitig unser Ziel erreichten. Von hier aus wollten wir mit einem der wirklich aufs Feinste hergerichteten Schaufelraddampfer flussaufwärts nach Schloss Pillnitz schippern. Es war nicht versäumt worden, als Schlechtwettervariante unter Deck Plätze zu reservieren, wer was von der Landschaft sehen wollte, blieb aber, trotz Niesel und Regen, über Deck sitzen. Die Fahrt mit dem Schiff verlief ziemlich unspektakulär. Die Versorgung mit heißen und kalten Getränken an Bord war gesichert. Auch ein Eis war jederzeit zu bekommen. Essbares stand, laut Karte, ebenfalls zur Verfügung, wurde aber offensichtlich nicht so gern serviert. Ich konnte zumindest niemanden feststellen, dem es gelungen wäre, ein Stück Kuchen oder ein Würstchen zu bestellen. Ich selbst hätte auch gern einmal probiert, bekam aber keine Gelegenheit, meinem Wunsche Ausdruck zu verleihen. Ansonsten, wie bereits erwähnt, war der Kahn wirklich tadellos in Schuss. Ein durchaus verlockender Reiz lag in der Möglichkeit, durch einen Blick in den Maschinenraum, die auf Hochglanz polierte Dampfmaschine bei der Arbeit zu beobachten. Nicht minder imposant fand ich es, die vielleicht 2 oder 3m im Durchmesser habenden Schaufelräder durchs Wasser pflügen zu sehen. Eine ganz leise Ahnung kommt einem schon, von den ungeheuren Kräften, die dabei am Werk sind, wenn die mächtigen Schaufeln mit einem einzigen Schlag, was weiß ich wie viele, Kubikmeter Wasser hinter sich baggern. Trotzdem, die Fahrt gegen den Strom ging nicht allzu rasant und so brauchte es wohl knapp 2 Stunden bis Schloss Pillnitz schließlich in Sicht kam.

Scan2

Christine wartete schon oberhalb der Anlegestelle . . . mit einem Schirm in der Hand. Solange wir mit dem Dampfer unterwegs gewesen waren, hatte sich das Wetter eigentlich ganz ordentlich und trocken gehalten. Stellenweise hatte die Sonne sogar den Grauschleier der Wolkendecke ganz schön auseinandergetrieben. Als wir vom Boot kletterten, sah es wiederum nicht so besonders aus. Nach einem kurzen Hin und Her wurde die einzig richtige Entscheidung gefällt; wir riskieren es und sehen uns den Schlosspark noch an. Vor allem eine Sehenswürdigkeit gab wohl den Ausschlag für diesen Plan. Der weltberühmte Camelienbaum. Wir können heute behaupten, dass wir unser Ziel erreichten und gleichzeitig erfuhren, wie man das Prachtstück in den letzten paar Jahrhunderten über den Winter brachte und mit welch ausgefeilter Technik das frostempfindliche Gewächs in unserer modernen Zeit am Leben erhalten wird. Selbstverständlich erzählte und berichtete Christine uns noch von vielen anderen interessanten Dingen und Begebenheiten, während wir aber auch immer wieder mal gezwungen waren, unsere Schirme aufzuspannen. Doch am Ende schloss sich der Kreis, unser Rundgang war zwar etwas ungemütlich, dafür aber sehr lehrreich gewesen und schließlich rief Christine über Handy unseren Bus zum vereinbarten Abfahrtsplatz.

Von hier aus verlief dann eigentlich alles recht unkompliziert. Wir hatten Christine wieder mit zurück nach Dresden genommen, wo sie sich dann freundlich, aber endgültig von uns verabschiedete. Mit einem kleinen, aber ich denke doch verdienten Applaus entließen wir sie aus unserer Mitte und strebten sodann die Heimfahrt an.

Busfahrer Himmelreich, der mit seiner Frau noch zwei Kannen Kaffee durch die Maschine gelassen hatte, hatte sich dabei leicht verkalkuliert. Die Zeit wurde nämlich für eine weitere Rast entschieden zu knapp, in Bodelwitz wartete noch ein Abendbrot auf uns.

Was die Gaststätte „Grüner Baum“ in Bodelwitz angeht, sind ja Leser früherer Reiseabenteuer des Heimatvereins schon hinreichend informiert. Ein Haus mit ausgezeichneten Referenzen, erstklassigem Speise- und Getränkeangebot, das von Personal mit einwandfreien Manieren dargeboten wird und mit einem tadellosen Ruf, dem schon J. W. von Goethe folgte, um sich an Leib und Seele bestens verwöhnen zu lassen. Weshalb also sollten wir ein solches Haus meiden, wo sich doch die Möglichkeit der Einkehr so leicht bietet? So dieses, wie auch das letzte Mal, wurden wir nicht enttäuscht, um so mehr nicht, als im Saal gleich neben unserem Speisezimmer ein gar kurzweiliges Kulturprogramm mit Jux und Tollerei aufgeführt wurde, dessen lustiges Treiben wir so nebenher und unentgeltlich mitverfolgen konnten.

Was soll also anderes dabei herauskommen, als allseits zufriedene Gäste, die nach reichlichem Mahl ohne Hast der Heimat zustreben. Als wir in Bodelwitz losfuhren, hatte sich die Sonne schon weit gen Westen gesenkt. Sie umrahmte dunkle Wolkenfetzen mit blutroten Rändern und ihre flachen Strahlen, die gelb und orange durch die Lücken brachen, versetzten die Landschaft in dämmriges Licht. Der Tag ging unter im Mosaikspiel der Farben. Eine Kulisse, vor der alle Erlebnisse der vergangenen Stunden – völlig vollkommen erschienen.

Heimatverein Wickersdorf e.V.                                             Eddy Bleyer