Schieferbruch und Tropfsteinhöhle

Schieferbruch und Tropfsteinhöhle

Besucht man sie heute, ist der Eindruck der menschlichen Arbeit, die an beiden mitgewirkt hat, fast verschwunden und es bietet sich das Bild gigantischer Naturschönheiten.

So erfuhr es eine Gruppe Wickersdorfer Bürger, die sich am 23.10.1993 auf Exkursion begab. Wieder stand der Heimatverein am Ruder und so waren denn auch einige seiner Mitglieder mit von der Partie. Aber auch Gäste aus der nicht vereinten Bevölkerung, sowie aus der Lebensgemeinschaft hatten sich eingefunden. Wie schon beim letzten Ausflug waren Walter Munzert als Mitglied und seitens des Vorstandes Hans Krabiell und Dr. Uli Knopf für Organisation und gutes Gelingen entscheidend verantwortlich.

So startete der Bus gegen 08.00 Uhr und fuhr aus Wickersdorf hinaus ins unfreundlich verregnete und kalte Land. In Saalfeld stieg diesmal außer Gust’l Schüner noch Dr. Martin Kniese zu, womit die Besatzung dann vollzählig war. Während der Bus unserem ersten Ziel, dem Schiefermuseum Lehesten zustrebte, begrüßte Uli mit ein paar freundlichen Worten, die wohl auch über die Unfreundlichkeit des Wetters ein wenig hinwegtrösten sollten, Fahrer und Fahrgäste.

So kamen wir schließlich an und entstiegen bei penetrantem Nieselregen und einer durch Mark und Bein gehenden Hundekälte unserem gemütlich geheizten Bus. Aber der Führer des Schiefermuseums, Werner Liebeskind, hatte für uns ein lockeres Sprüchlein auf den Lippen. Mit den Worten: „Lieber ein gutes Schieferdach über dem Kopf, als bei schlechtem Wetter draußen stehen“, gewährte er uns Einlaß in die Halle, in der vor Zeiten aus dem geförderten Rohschiefer die allen bekannten Dachschiefer hergestellt wurden. Im gleichen Zuge wurden wir darüber unterrichtet, daß noch eine Delegation Wissens-durstiger erwartet würde und während wir derer Ankunft harrten, mußten wir uns langsam aber sicher an den Gedanken gewöhnen, daß das ehrwürdige Schieferdach über unseren Köpfen sehr wohl vor dem nervenden Regen zu schützen vermochte, mitnichten schützte es jedoch vor beißender Kälte. Daß in diesem speziellen Fall diese Tatsache sogar von dringender Notwendigkeit war, sollten wir später noch erfahren. Das Attribut „ehrwürdig“ für das Schieferdach, das sich über uns spannte – so viel steht jedenfalls fest – ist mehr als angebracht, wie wir nach eigener Anschauung zugestehen mussten. Zumindest der Dachstuhl ist ein kolossales Bauwerk, das mit Sicherheit seinesgleichen sucht.
Nach einigen langen Minuten des Zitterns und Zähneklapperns trafen endlich die noch erwarteten Gäste ein. Einige betuchte Herren aus dem Fränkischen, welche einem Verein der Bergarbeiterhilfe angehörten, in Begleitung des Lehestener Bürgermeisters und des stellvertretenden Landrates des Landkreises Kronach waren samt ihrer Gemahlinnen erschienen.

Alsbald begann unser Gastgeber nach einigen Grußworten mit seinen Ausführungen, die über die Arbeit in der Schieferherstellung Auskunft gaben. Unter anderem erklärte er – es muß auf manchen wie ein Schock gewirkt haben – daß die Halle auch bei grimmigstem Frost nicht beheizt werden durfte, da der Schieferstein, der bei Kälte gefördert wurde, durch die Temperaturveränderung sofort seine Spaltbarkeit verloren hätte. Als er diese Worte sprach, herrschten etwa 5° C im Raum und mancher von uns kam sich schon halb zerfroren vor. Wer soll sich da noch vorstellen, wie man bei -20° C mit absolut verblüffender Präzision Schiefer bearbeiten kann. Und doch waren es Menschen wie du und ich, die hier bei jedem Wetter bis an die Grenzen – vielleicht war es manchmal auch schon ein bißchen darüber – ihrer gesundheitlichen Belastbarkeit ihr schweres Tagewerk vollbringen mußten.

Auf der anderen Seite die Förderanlage, mit der die immensen Bruchschieferbrocken aus der Tiefe herausgehoben wurden. Sie ist ein Werk, das seine Schöpfer lobt. Die Räder, in ihrer Riesigkeit kaum zu beschreiben, holten noch bis ins Jahr 1964 die schwer beladenen Förderkörbe vom Grund des sage und schreibe 70m tiefen Schieferbruches nach oben. Dennoch – der Weisheit letzter Schluß war auch diese Technik nicht. Bei aller Genialität und allen Sicherheitsvorkehrungen ist ein tödlicher Unfall der Makel, der der Anlage wohl bis in alle Ewigkeit anhaften wird.

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Wievieler Menschen Hände an dem gigantischen Loch gegraben, das da unüberschaubar vor uns gähnt, weiß heute wohl keiner mehr so genau zu sagen. Was diese Menschen ebenso bei sengender Hitze gleich wie bei klirrendem Frost zu leisten hatten, kann sich wohl kaum jemand so genau vorstellen. Fest steht, einem großen Naturschauspiel ebenbürtig, hat der Mensch hier ein unvergängliches Zeugnis seiner Arbeit hinterlassen. Das war der Eindruck, der uns beim letzten Blick über die schier unendlich erscheinende Landschaft des Schieferbruches blieb.

Inzwischen durchgefroren bis auf die Knochen, waren wir froh, daß als nächster Tagesordnungspunkt das Mittagessen in einer Lehestener Gaststätte auf dem Programm stand. Das Urteil darüber fiel am Ende recht unterschiedlich aus, aber die Wärme in der Gaststube hatte uns allen gut getan, als wir anschließend in Richtung Schmiedefeld davonfuhren.

Die Infrastruktur um die erst nach der Wende für die Öffentlichkeit zugänglich gewordene Morassinahöhle bot zumindest eine Bockwurst und Glühwein oder Kaffee für Bedürftige. Da im Bau noch nicht vollendet, bot die Gaststätte nur sehr unvollkommen Schutz vor der erbarmungslosen Kälte. In der Höhle selbst – davon konnten wir uns schließlich selbst überzeugen – waren die Temperaturen erträglicher. Oder war es nur der überwältigende Eindruck, der uns die Kälte vergessen ließ? Mit Worten läßt sich der Anblick wohl gar nicht so leicht beschreiben, der sich unseren Augen dort unten bot. Unglaublich, märchenhaft, verblüffend, bezaubernd oder fesselnd – welches dieser Attribute ist denn ausreichend geeignet, die Pracht der Farben und Formen zum Ausdruck zu bringen? Wie von Zauberhand gemalt, hat hier die Natur ein Werk geschaffen, an das man nur glauben kann, wenn man es mit eigenen Augen gesehen hat.

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Wer fragt da noch nach dem Ursprung? Wer erinnert sich daran, daß vor hunderten von Jahren der Mensch damit begann, Alaun aus dem Berg zu graben? Wie soll man sich vorstellen, wieviel Kraft, Schweiß und Blut es gekostet hat, die riesigen Hohlräume in den Fels zu treiben? Wer gedenkt eigentlich derer, die vielleicht über der unvorstellbar mühsamen Arbeit ihr Leben gelassen haben?
Doch dann – weitere Jahrhunderte! Jahrhunderte der Stille und Unberührtheit, in denen die Zeit und das endlose Tropfen des Wassers in der undurchdringlichen Finsternis unvorstell-bare Veränderungen vollbrachten.
Und wieder entfacht der Mensch das Licht und trägt es hinein. Und er steht wie gebannt vor dem Zauber der betörenden Schönheit, die sich ihm jetzt offenbart.

Wir Wickersdorfer hatten eine knappe Stunde Zeit, uns davon zu überzeugen. Dann marschierten wir zurück zum Bus und traten die Heimreise an. Und wer dabei war, muß für sich selbst entscheiden, ob sich das Frieren für ihn gelohnt hat.

Eddy Bleyer