Reisen macht Laune

Reisen macht Laune

Diesem Motto hat sich bekanntlich auch der Wickersdorfer Heimatverein verschrieben. So kommt es, daß sich am Samstag, dem 19.09.98, einige Leute auf dem Dreieck treffen, um gemeinsam diesem Motto zu huldigen. Es ist gegen 07.00 Uhr, als der Bus des Reiseunternehmens „Hugo Vater“ um die Kastanie schwenkt. Einige Plätze im Bus sind bereits besetzt, als er in Wickersdorf eintrifft, denn auch in den umliegenden Dörfern gibt es immer wieder Reiselustige, die gern die Angebote des Heimatvereins in puncto Tagesausflüge, nutzen.

Simone Jakob, die Gemahlin unseres Ortsbürgermeisters, sorgt für eine geringfügige Verzögerung, indem sie zur festgesetzten Zeit noch nicht an der Haltestelle erschienen ist. Schuldlos, wie sich von selbst versteht, denn die Arme hatte Nachtdienst im Kinderheim und nun mußte sie natürlich erst die Amtsgeschäfte an ihre Ablösung übergeben. Da es sich dabei um einen bürokratischen Akt handelt, muß selbstredend damit gerechnet werden, daß es etwas später werden kann. Es dauert Gott sei Dank nicht allzu lange, bis Simone den Bus besteigt und die Reisegesellschaft somit vollständig ist. Unverzüglich setzt sich unser Fahrzeug in Bewegung und wir fahren frohen Mutes unserem Ziel entgegen. Gleich nachdem wir das Ortsschild passiert haben, ergreift Kurt Hammer, der als Reiseleiter unsere Unternehmung begleitet, über Bordmikrofon das Wort, um Fahrer und Fahrgäste zu begrüßen. Ihm schließt sich Dr. Ulrich Knopf als Vertreter des Vereinsvorstandes an und richtet ebenfalls einige Worte an die Anwesenden. Schließlich beendet unser Fahrer den Reigen der Begrü-ßungsansprachen, indem er sich mit dem Namen „Ulrich Daum“ vorstellt, und noch ein paar weitere – mehr oder weniger belanglose – Informationen an seine Fahrgäste durchgibt. So vergeht die Zeit, während Kurt immer wieder das rege Geplapper im Bus unterbricht, um uns mit lehrreichen Kommentaren an markanten Punkten unserer Reiseroute auf Besonderheiten der Landschaft und Wissenswertes über Land und Leute aufmerksam zu machen. Nach geraumen Kilometern findet Uli endlich eine Parkmöglichkeit, die er sofort nutzt, um sich und seinen Fahrgästen eine kurze Erholungspause zu gönnen. Hans Krabiell packt die Gelegenheit beim Schopfe, die Unkostenbeiträge einzukassieren; nebenher besteht natürlich die Möglichkeit, etwas fürs leibliche Wohl zu tun. Während viele einen kleinen Reiseproviant mit sich führen, verkauft Uli, der Busfahrer, kalte und heiße Getränke, je nach Bedarf. Das Ganze spielt sich bei passablem Wetter ab, so daß sich die allgemeine Stimmung im positiven Bereich eingepegelt hat. Schließlich muß aber auch die schönste Pause einmal enden und so geht nach abgelaufener Frist die Fahrt weiter. Auf diese Weise erreicht der Bus dann endlich unser erstes Ziel – die Wasserburg Heldrungen.

Ein Bauwerk von wehrhaftem Charakter, das in dieser Eigenschaft den meisten Gemäuern, die dem selben Zwecke dienten, sogar weit voraus war. Thomas Müntzer, der Führer des Großen Deutschen Bauernkrieges, verbrachte hier die letzten qualvollen Tage seines Lebens als Gefangener des Grafen von Mannsfeld. Wir sehen uns kurz im Inneren des Gebäudes um, wobei wir von den Übungen eines probenden Chores unterhalten werden.

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Aber der Tag ist noch jung und wir haben noch einiges vor. So besteigen also wieder unseren Bus und setzen die Reise fort. Es dauert nicht allzu lang, bis wir uns inmitten der Mauern von Bad Frankenhausen befinden. Während sich der Bus durch die Straßen und Gassen windet, bereiten sich die Bad Frankenhausener übrigens gerade auf ihre Eintausend – Jahr – Feier vor. Kurt lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den Turm der Oberkirche, der mit 3,83 m Abweichung von der Senkrechten schiefer ist, als der schiefe Turm von Pisa.

Indessen erklimmt der Bus den Gipfel des Schlachtberges, wo unser zweites Reiseziel, das Museum des Bauernkriegspanoramas, steht. Ursprünglich hieß diese Landschaftserhebung am Rande von Frankenhausen „Hausberg“, und verdankt ihren jetzigen Namen der letzten und entscheidenden Auseinander-setzung des Bauernkrieges, in der sechstausend von achttausend aufständigen Bauern erbarmungslos hingeschlachtet wurden.

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Das Panorama ist ein monumentales Ringgemälde, das einzelne Szenen aus dem Bauernkrieg darstellt. Dem Betrachter bietet sich in der Tat ein beeindruckendes Bild, das allerdings im Hinterkopf den Wunsch nach einigen Erklärungen weckt. Und hier setzt sich ein Mechanismus in Gang, der zu Unmut und Enttäuschung im Publikum führt. Plötzlich tritt da ein Mann mitten unter die Massen und fängt an, etwas von schlechter Akustik zu erzählen. Aus der Menge fragt eine fassungslose Stimme: „Haben Sie denn kein Mikrofon?“ Diese Frage trifft den Nagel auf den Kopf, aber leider verstehen die meisten nicht, was darauf geantwortet wird.

So scharen sich einige besonders aufdringliche Wißbegierige dicht um den Red-ner; wer nicht nahe genug herankommt, muß halt sehen, wie er mit der Aussage des Kunstwerkes zurecht kommt. Dieter Jakob äußert am Rande die Überzeu-gung, daß es sich bei dieser Veranstaltung um puren Boykott handelt, weil den heutigen Machthabern im Lande die wahre Botschaft des Gemäldes nicht in den Kram paßt. Bei reiflicher Überlegung drängt sich einem der Eindruck auf, daß Dieter mit seiner Meinung in diesem Falle völlig recht hat. Zumindest ist die Art und Weise, die hier an den Tag gelegt wird, die beste Methode, sich lästige und neugierige Besucher vom Hals zu halten, bis sich schließlich kein Mensch mehr für derart unangenehmes Kulturerbe interessiert. Die Reaktion auf das Erlebte ist jedenfalls einhellig: „Niveau – unter der Gürtellinie!“ Gerhild Knopf will sogar beobachtet haben, wie sich Leute am Empfang über die inakzeptable Behandlung beschwert haben sollen.

Eine Gruppe Reiselustiger, wie wir es sind, läßt sich durch solche Rückschläge natürlich nicht aus der Laune bringen. Wir werten den Vorfall erschöpfend aus, steigen gut gelaunt in den Bus – und weiter geht’s in Richtung Mittagessen. Die Straßen von Bad Frankenhausen sind durch den Festzug zur Eintausend – Jahr – Feier inzwischen etwas enger geworden, es gelingt uns aber, ohne größere Behinderungen die Stadt zu durchqueren. Unser Kurs führt uns mitten hinein ins Kyffhäusergebirge. Dort steht, eingebettet in ein urwüchsig – idyllisches Tal, die Senn – Hütte. Ein gemütliches Haus in ruhiger Lage, wo wir unseren Hunger auf etwas Warmes stillen wollen. Obwohl Kurt eine detailgetreue Vorbestellung hat, müssen wir uns einige Minuten gedulden, bevor das Essen serviert wird. Das Servierte entschädigt aber für die Wartezeit. Wir bekommen mengenmäßig und qualitativ hochwertige Mahlzeiten auf den Tisch. Gestärkt durch Speis und Trank wälzt sich dann die träge Masse wieder zum Gefährt, denn es gibt noch viel zu sehen. Dazu müssen wir uns von hier fortbewegen, was sogleich passiert. Der Bus klettert die Serpentinen der Gebirgsstraße hinauf in höhere Lagen.
Laubwälder säumen unseren Weg und schließlich rollen wir auf den Parkplatz am Kyffhäuserdenkmal. Der beschwerliche Anstieg vom Parkplatz hinauf zum Turm wird allen Teilnehmern freigestellt.

Viele der Älteren machen von der Möglichkeit Gebrauch, am Bus zu bleiben. Einige jüngere Mitglieder unseres Trupps ziehen es vor, sich von einer Kutsche chauffieren zu lassen, um ihren, von der langen Busfahrt schmerzenden Beinen, etwas Erholung zu gönnen. Der Rest macht sich locker auf die Socken, um den Eindruck historischer Baukunst lebensnah auf sich wirken zu lassen. Auf dem Vorplatz gibt unser Reiseleiter ein paar Einblicke in die geschichtliche Entwicklung der Region, während andere die Zeit nutzen, auf Streifzügen durch das Gelände ihren Wissensdurst zu stillen. Walter Munzert, unser Vereinsveteran, treibt seine Steifzüge sogar soweit, daß er als vermißt gemeldet wird. Doch das Schicksal ist uns wohl gesonnen; Walter wird wieder gefunden und die Mannschaft stellt sich, zwar mit etwas Verspätung, aber vollzählig an der Haltestelle ein.

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Als wir die Serpentinen wieder hinunter fahren, müssen wir feststellen, daß die eine Kurve für zwei ausgewachsene Busse etwas zu schmal geraten ist. Durch geschicktes Manövrieren beider Fahrer kommen wir an dem Reisebus, der uns entgegengekommen ist, letztendlich doch vorbei und setzen unsere Reise alsdann unbehindert fort. Die Fahrt verläuft ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Eine Ausbuchtung zur linken wird von Uli, dem Busfahrer, genutzt, um sein Fahrzeug am Wegesrand zum Stehen zu bringen. Das bringt für Mensch und Maschine nochmals Gelegenheit kurz zu verschnaufen, wobei der eine oder andere sein körperliches und geistiges Befinden durch Einnahme eines warmen oder kalten Getränkes wieder in Höchstform bringt. So steigt nach der Rast die Aufmerksamkeit wieder an, wenn Kurt mit seinen belehrenden Ausführungen das allgemeine Gebrummel im Bus unterbricht. So erfahren wir noch etwas über die Lebensbedingungen der Urmenschen, die in der Nähe von Bilzingsleben ihr Lager aufgeschlagen hatten und über die industrielle Entwicklung von Sömmerda. Wieder geht die Zeit ins Land und wir erreichen zu fortgeschrittener Stunde die Gaststätte „Ilmklause“. Hier hat Kurt auf Empfehlung des Fremdenverkehrsamtes das Abendessen bestellt. In der Gaststube herrscht ein angenehmes Ambiente, allerdings ist für unsere Gruppe offensichtlich ein Platz zu wenig reserviert worden. Norbert Nicolaus muß aus diesem Grund separat platziert werden. Mit der Bedienung geht es entschieden schneller als in der Senn – Hütte, worunter aber die Qualität des Essens keineswegs leidet. Überhaupt beherrscht eine sehr freundliche Atmosphäre das gesamte Geschehen. Also wirkt das Ganze wieder sehr erbauend auf Körper und Geist. Deshalb verläßt unser Trupp gut gelaunt die Tafel, um endlich die letzte Etappe unserer Reise, in Richtung Heimat, anzutreten. Kurt verspricht, die Ruhe hinfort nicht mehr zu stören, hält sich allerdings nicht allzulange daran. Uli, der Busfahrer, läßt es sich nicht nehmen, ein paar werbewirksame Worte in eigener Sache an uns zu richten. Und auch Uli Knopf weiß noch ein paar Sätze zu sagen, die Trost und Beistand zum bevorstehenden Abschied spenden sollen. Auf diese Weise ist ständig für Unterhaltung gesorgt; das Mikrofon wechselt von einer Hand in die andere, bis schließlich der Bus in den Heimathafen einläuft. Die Dunkelheit hat Wickersdorf schon eingehüllt, als vom Dreieck aus die Menschen wieder ihren Gehöften zustreben. Der Bus fährt irgendwo da draußen und bringt noch die Leute von den anderen Ortschaften nach Hause. Die Zeit ist gekommen, die Eindrücke des Tages in Ruhe zu genießen.

e.b.